70 Jahre bwd - Folge 7 Die 10er-Jahre und Gegenwart: Von Green Deal bis Fachkräftemangel

Designbeläge erobern in den unterschiedlichsten Aufbauvarianten auch den privaten Sektor. Der europäische Green Deal zwingt die Bodenbelagsindustrie zu nachhaltigen Alternativen. Im bodenlegenden Handwerk zeichnet sich ein eklatanter Nachwuchs- und Fachkräftemangel ab. Mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht im Parkett- und Estrichlegerhandwerk will man dem entgegenwirken.

Titelbild der Januar-Ausgabe 2011 - © bwd

Mit dem Ende der Nullerjahre beginnt endgültig das Jahrzehnt der Designbeläge. Sie sind der Umsatzbringer. Allein hat 2010 hat der Umsatz mit LVT’s gegenüber Vorjahr laut einer Statistik des Fachverbandes der Hersteller Elastischer Bodenbeläge (FEB) um 30 Prozent zugelegt. „Das Wort Krise gibt es bei uns nicht“, erklärte ein sichtlicher zufriedener Anbieter gegenüber bwd auf der Messe Domotex zu Beginn des neuen Jahrzehnts. Um das Jahr 2010 kommen die ersten klebstofffrei zu verlegenden Designbelags-Kollektionen auf den Markt und starteten einen Trend hin zu alternativen Verlegesystemen, die am Ende in komplett lose zu verlegende Varianten, den sogenannten „Loose-Lay“-Belägen führen und die Verbreitung von Designbelägen weiter vorantreiben. Ebenso wie die Tatsache, dass Designbeläge wegen ihrer geringen Aufbauhöhe im dominanten Renovierungsmarkt gegenüber dem Original aus Stein und Holz punkten können.

Während ein Teil der etablierten Anbieter nach wie vor auf Importe aus Fernost setzt und in Deutschland mit Hochdruck die Lagerkapazitäten ausbaut, setzen andere auf eigene Fertigung in Deutschland oder Europa, und bauen hier unter dem Label „Made in Germany“ oder „Made in Europe“ ihre Produktionskapazitäten aus. Parallel dazu werden die konstruktionsbedingten Spielarten immer vielfältiger. Designbeläge gibt es als Dryback-Varianten zum vollflächigen verkleben, zum Klicken und als lose verlegbare Variante, auf allen erdenklichen Trägern aufkaschiert und bald mit hartem Kern (Rigid Core), der den Kunststoffplanken mehr Dimensionsstabilität verleihen soll. Optisch sorgt der Digitaldruck dafür, dass Designbeläge aus „Kunststoff“ dem Original aus Holz oder Stein optisch immer ähnlicher werden. Beim Design bleibt Eiche-Dekor freilich die erste Wahl.

Parkett und Teppichboden versuchen sich zu wehren

Das ruft die Parkettindustrie auf den Plan, die mit der europaweiten „Real-Wood-Kampagne“ nicht nur dem Endverbraucher helfen will, das Original vom Imitat zu unterscheiden, sondern auch ganz eigennützig den Verlust an Marktanteilen an die „Elastischen“ verhindern will. Der LVT-Boom trifft aber vor allem die Laminatbranche, die an gleichen Optiken, Dekoren und Formaten arbeitet. Doch auch die seit Jahren gebeutelte Teppichbodenbranche, die Ende des letzten Jahrtausends massiv Marktanteile an Laminat verlor, fürchtet angesichts des LVT-Booms, der inzwischen auch den privaten Bereich erreicht hat, einen weiteren Absatzrückgang. Die Teppichfraktion, allen voran der Großhandel, der allen Unkenrufen zum Trotz mit dem Teppichboden noch immer über ein renditestarkes Produkt verfügt, kontert 2013 mit der Image-Kampagne „Teppich & Du“. Das Ziel: Den textilen Bodenbelag wieder als bevorzugtes wohngesundes und ästhetisches Produkt der Raumgestaltung etablieren. Die Kampagne wurde von 93 Hersteller, Großhändlern, Kooperationen und Verbänden unterstützt.

Dazu passt auch, quasi im Windschatten der modularen Designbeläge, den Teppichboden in Plankenformat auf den Markt zu bringen. Modulare Bodenbeläge sind die Antwort auf die wachsende Forderung nach Individualität, Flexibilität und leichtem Handling. Und bald schon ist es ziemlich unüberschaubar, was da neben den Klassikern wie Laminat oder LVT und sogar Linoleum an modularen Bodenbelägen daherkommt. Mehrschichtig Modulare Bodenbeläge (MMF) heißt das neue Zauberwort. Bei diesen Belägen besteht die Möglichkeit, die Trägerplatten für nahezu alle Arten von Bodenbelägen zu nutzen: Vinyl, Vlies, Kork, Lino, Leder oder versiegeltes Dekopapier. Die Akademiker in der Branche versuchen zu Recht, den Wildwuchs bei MMF mit Normen und Regeln zu begegnen. Dafür wurde im Oktober 2012 in München mit dem MMFA ein Herstellerverband gegründet. Er sorgt dafür, dass die vielen neuen Ansätze modularer Fußböden ein genormtes und technisch beschriebenes Zuhause finden. Allerdings beschreibt die „Multilayernorm“ EN 16511 aufgrund der zunehmend unterschiedlichen Aufbauten und Spielarten lediglich die Anforderungen und nicht die Aufbauten.

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    Edwin Lingg (stellv. Vorstand), Vorstand Matthias Windmöller und Geschäftsführer Peter M. Meyer
    © bwd
    Anfang 2013 erläuterte der MMFA im Rahmen der Domotex erstmalig seine Ziele (von links): Edwin Lingg (stellv. Vorstand), Vorstand Matthias Windmöller und Geschäftsführer Peter M. Meyer.
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    Logo der europaweiten Real-Wood-Kampagne
    © FEP
    Logo der europaweiten Real-Wood-Kampagne.
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    Manfred Birkenstock, geschäftsführender Vorstand der Copa e.G. stellte 2013 die Teppichboden-Imagekampagne „Teppich & Du“ vor.
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    Bioboden-Purline-Produktionsanlage
    © Windmöller/wineo
    Blick auf die Bioboden-Purline-Produktionsanlage in Detmold bei der WPT (Windmöller Polymer Technologie) im Jahr 2016.
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    CM- und KRL-Messung
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    CM- und KRL-Messung. Welche Messmethode eignet sich wann?
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    Das ist Bodenhandwerk
    © Jill Abanico
    Auf der Messe Bau in München 2023 haben die Initiatoren der Ausbildungsinitiative „Das ist Bodenhandwerk“ Förderer und Unterstützer zu einer Feierstunde anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Initiative eingeladen. Timo Dätsch, BVPF-Vorstand und Sprecher des Beirats der Ausbildungsinitiative, dankte den anwesenden Förderern für ihre Unterstützung.
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    Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke (re.), der Bundesinnungsmeister im Bundesverband Parkett und Fußbodentechnik, Peter Fendt (li.), Verleger Alexander Holzmann (2. v. li.) sowie bwd-Chefredakteur Stefan Heinze
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    Auf Einladung von Holzmann Medien und boden wand decke trafen sich im Juli 2019 in Bad Wörishofen der Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke (re.), der Bundesinnungsmeister im Bundesverband Parkett und Fußbodentechnik, Peter Fendt (li.), Verleger Alexander Holzmann (2. v. li.) sowie bwd-Chefredakteur Stefan Heinze (2. v. re.) zu einem Gedankenaustausch über die Wiedereinführung der Meisterpflicht im Parkettlegerhandwerk.

10er Jahre: Nachhaltigkeit wird zum Maß aller Dinge

2012 wird auf der Domotex der erste PVC-freie Bodenbelag vorgestellt. Den stetig wachsenden Anforderungen beim Gesundheits- und Umweltschutz tragen die Designbelagshersteller mit weichmachfreien Produkten und alternativen Zutaten wie Rizinusöl Rechnung. Bei Teppichböden ist analog dazu die Verwendung von Latex und Bitumen endgültig out. Womit wir bei der Nachhaltigkeit wären. Anfang noch vielfach ein bloßes Marketingschlagwort sollten die Hersteller von Bodenbelägen nicht zuletzt aufgrund des wachsenden politischen und gesellschaftlichen Drucks (Stichwort Green Deal) mehr und mehr mit Leben füllen.

Nachhaltigkeit wird zum bestimmenden Thema, EPDs, Ökobilanzen und der ökologische Fußabdruck scheinbar zum Maß aller Dinge. Teppichgarnhersteller recyceln alte Fischernetze und die Linoleumhersteller rücken ihren aus natürlichen Zutaten bestehenden Bodenbelag in den Vordergrund. Ebenso die Parkettindustrie, die den Werkstoff Holz als Inbegriff nachhaltigen Wirtschaftens mit guten ökologischen Gründen vor allem in die CO2-Diskussion einbringt. Und nicht nur die Verlegewerkstoffindustrie entdeckt plötzlich den „Blauen Engel“ für sich, obwohl das Umweltzeichen bereits seit 1987 existiert.

Ende der 10er-Jahre waren die Zeiten endgültig vorbei, in denen das Marketing seinen Ökoanspruch vor der Produktion durchboxen musste, weil veränderte Anforderungen des Marktes auch Umstellungen im Fertigungsbereich bedeuteten. Die Industrie hatte sich daran gewöhnt, in immer kürzeren Zyklen auf Gesetzgebungen, Beschränkungen und Grenzwertabsenkungen zu reagieren und ihre Produkte entsprechend anzupassen.

Neue Zemente, neue Klebstoffe und die Folgen prägen die 10er Jahre

Die Fußbodentechnik wird in den 10er-Jahren mehr als bisher geprägt von der Problematik der Estrichfeuchte und deren sicherer Bestimmung. Haben Estriche mit anderen Zementen als den bisher fast ausschließlich verwendeten CEM I Typen andere Ausgleichsfeuchtewerte? Und wie wirken sich die inzwischen standardmäßig eingesetzten Estrichbeschleuniger auf das Messergebnis aus? Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wird in Deutschland CM-Methode genutzt. Plötzlich aber steigen die Feuchtereklamationen und man führt dies auf ein Versagen der CM-Messmethode beim Einsatz von Trocknungsbeschleuniger und bestimmten veränderten Zementen zurück. Der Ausschließlichkeitsanspruch der CM-Messung wird in Frage gestellt und die KRL-Methode als alternative und sichere Messmethode ins Spiel gebracht. Bei Estrichen mit unüblichen Mischungsverhältnissen, „neuen“ Zementen oder sehr niedrigen w/z-Werten könnten, so das Argument der KRL-Befürworter, falsche Schlüsse zur Belegreife gezogen werden, wenn nur nach der CM-Methode gemessen wurde.

Decklamellenablösungen und das Auflösen von Silanklebstoffen machen zu schaffen

Das Parkettlegerhandwerk kämpft derweil weiterhin mit Decklamellenablösungen und der Auflösung von Silanklebstoffen. Zur Erinnerung: Lösemittelhaltige und auch wasserhaltige Dispersionsklebstoffe wurden seit Anfang der Nullerjahre von lösemittelfreien und wasserfreien silanmodifizierten Parkettklebsoffen verdrängt. Jetzt zeigte sich, dass SMP-Kleber nach Jahren weich und matschig wurden und sich schließlich pulverisierten. Damit waren sie nicht mehr in der Lage, die Quell- und Wölbspannungen eines Parkettbodens aufzunehmen und an den Unterboden weiterzuleiten.

Verlegewerkstoffe werden idiotensicher

Das ist Bodenhandwerk
Auf der Messe Bau in München 2023 haben die Initiatoren der Ausbildungsinitiative „Das ist Bodenhandwerk“ Förderer und Unterstützer zu einer Feierstunde anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Initiative eingeladen. Timo Dätsch, BVPF-Vorstand und Sprecher des Beirats der Ausbildungsinitiative, dankte den anwesenden Förderern für ihre Unterstützung. - © Jill Abanico

Bei den Verlegewerkstoffen namentlich den Spachtelmassen gelingt es dank einer neuen Verflüssiger-Technologie bis dahin unerreichte Verlaufseigenschaften mit sehr glatten und dennoch gut saugenden Oberflächen zu verbinden. Schnelltrocknend und dabei praktisch spannungsfrei wird zum Standard. Dazu kommen speziell für LVT entwickelte Verlegewerkstoffe auf den Markt, die neben der Verlegefreundlichkeit vor allem Dimensionsstabilität garantieren sollen. Gleichzeitig führt der bestehende und künftig noch zunehmende Fachkräftemangel dazu, dass die Verlegewerkstoffindustrie Produkte entwickelt, die immer einfacher und sicherer in der Anwendung werden.

Dem Nachwuchs- und Fachkräftemangel entgegenwirken soll die 2013 gegründete Initiative „Das ist Bodenhandwerk“. Getragen von den Organisationen des bodenlegenden Handwerks soll die Initiative die Berufszweige im Bodenhandwerk attraktiver gestalten und neue Auszubildende gewinnen. Im Mittelpunkt stehen dabei auch Social-Media-Plattformen und ein Online-Stellenfinder, der Lehrbetriebe und potenzielle Auszubildende bundesweit zusammenbringen soll.

Ein großer Erfolg ist die Rückkehr zur Meisterpflicht im Parkett- und Estrichlegerhandwerk 2020. Ziel dieser Maßnahme ist es, die Qualität der handwerklichen Arbeit zu sichern und die Ausbildungsbereitschaft in diesen berufen zu fördern. Erste Erfolge zeigen sich in einer erhöhten Nachfrage nach Meisterkursen.

Corona stellt alles auf den Kopf

Nach starken Wachstumsjahren, die industrieseitig von hohen Investitionen geprägt waren, ändern die Corona-Pandemie und die multiplen Krisen, die mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine ihren Höhepunkt erreichen, alles. Profitiert die Bodenbelagsbranche anfangs der Pandemie noch von einer hohen Investitionsbereitschaft der Verbraucher in Sanierung und Renovierung, was Industrie und Handel Rekordumsätze bescherte, schlägt das Pendel 2022 um. Gestörte Lieferketten, mangelnde Verfügbarkeit von Rohstoffen, Preisexplosionen für Baustoffe, hohe Zinsen und Planungsunsicherheit führen zu massiven Nachfragerückgängen. Der Wohnungsneubau kommt in Folge dessen nahezu zum Erliegen. Absatzrückgänge in Größenordnungen von zum Teil über 30 Prozent quer durch alle Belagssegmente treffen die Branche hart und stellen sie vor große Herausforderungen.

Ende 2024 muss man davon ausgehen, dass sich die wirtschaftliche Situation erst 2026 stabilisieren wird. Mittel- und langfristig allerdings rechnet die Branche mit einem markanten Aufschwung, der vor allem auch durch die politisch gewollte energetische Sanierung der rund 20 Millionen Bestandsimmobilien in Deutschland getragen werden dürfte.

Mit dieser Folge beenden wir unsere Serie "70 Jahre bwd: Die Branche im Überblick".

Hier alle Folgen auf einen Blick: