70 Jahre bwd – Folge 3 70er Jahre: Beim Teppichboden herrscht Goldgräberstimmung

Die 70er Jahre: In Zeiten des Teppichbooms schlägt die Stunde des Großhandels. Gigantische Kapazitäten sorgen beim textilen Produkt allerdings zunehmen für einen Preisverfall auf Kosten der Qualität. Das Handwerk beäugt kritisch das neue Fertigparkett aus Schweden und die Ölkrise lenkt den Blick auf beheizte Fußbodenkonstruktionen.

bwd Titelseite 2-1970
Die Titelseite der Ausgabe 2 von 1970. - © bwd

bwd trägt in den 70er Jahren dem aufkommenden Teppichboom Rechnung: In einer mehrteiligen und sehr ausführlichen Serie geht es bald um das Lagern, Präsentieren, Schneiden und Transportieren von Bodenbelägen (2/1972). Ohne Paternoster geht nichts mehr. Max Janser gibt im Februar 1972 den aufstrebenden Unternehmen dieser Zeit tatkräftige Hilfe an die Hand. Anfang der 70er Jahre ist die Teppichwelt in wunderbarer Ordnung. In einem Beitrag zur Frankfurter Heimtextilmesse schwärmt Dr. Franz Wilhelm ebenfalls in der Februarausgabe 1972 von phantastischen Branchenaussichten, die durch den bevorstehenden Zusammenschluss der europäischen Wirtschaftsblöcke EWG und EFTA zusätzlichen Schwung bekommen würden.

„Durch den Wegfall der Zollmauer wird es zu einer Konfrontation der Teppichgroßmärkte Deutschland und England auf diesem gemeinsamen Markt kommen, und es mag vielleicht heute schon interessant sein, eine Vorschau zu geben, wie sich dies in der Praxis auswirken wird; denn dieser Markt ist ja nicht nur das arithmetische Addieren von derzeitiger Produktions- und Konsumkraft, die zu einer Produktion und einem Verbrauch von ungefähr 200 Millionen Quadratmeter Teppichwaren führt, sondern es wird ein dynamischer Effekt ausgelöst, der durch die verbesserten Einkaufsmöglichkeiten jeweils dem technisch fortschrittlichsten Betrieb auch wieder die wesentlich verbesserte Chance bietet.“

Teppichwahn und Wirklichkeit

Wilhelm hält es zu dem Zeitpunkt für möglich, in amerikanische Größenordnungen hineinzuwachsen. „Wir haben in Großeuropa ungefähr 700 Tuftingmaschinen mit 200 Mio. Quadratmeter Kapazität, in den USA haben wir 2.500 Tuftingmaschinen mit 600 Mio. Quadratmeter Kapazität, was einem ungefähren Pro-Kopf-Verbrauch von drei Quadratmeter entspricht. Kluge Marketingexperten sagen, dass wir 1975 doppelt so viel verkaufen werden.“ Wilhelm erwartet die Stunde des Großhandels. „Für die Industrie wird es wahrscheinlich unmöglich sein, ohne große Distributionsfirmen diesen Raum gebührend zu organisieren. Dem Großhandel wird daher eine neue Rolle zufallen, umso mehr, als die Entwicklung auf dem Gebiet des Teppichbodens über die Möglichkeiten einer Fabrik hinausgeht und das Erbringen von Serviceleistungen erforderlich macht. Von den fachlichen Notwendigkeiten her wird der Grossist geradezu auf den Plan gerufen. Man müsste ihn aus dem Boden stampfen, wenn er nicht schon existiert.“

Wilhelm sieht nach der Ess- und Bekleidungswelle jetzt die Wohnwelle auf die Verbraucher zukommen, von der insbesondere der Teppichboden profitieren dürfte. Noch im ersten Halbjahr 1973 erscheinen Prognosen und Vorausschätzungen namhafter Institute und von Marktforschungsabteilungen etwa internationaler Faserkonzerne, die für die Bundesrepublik auf das Ende  der 70er Jahre ein Marktangebot an Teppich und Teppichboden von 300 Mio. Quadratmeter und damit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 4,9 m² verkünden. Doch es kommt anders.

Erste Ermüdungserscheinungen gegen Mitte der 70er Jahre

Dr. Hans Friedrichs mit Dr. Helmut Schäfer (links) und Dr. Roland Bitschnau (Mitte)
1974: Bundeswirtschaftsminister Dr. Hans Friedrichs mit Dr. Helmut Schäfer (links) und Dr. Roland Bitschnau (Mitte) beim Rundgang durch die Produktionsanlagen der Dura Tufting GmbH. - © bwd

Wer die Situation mit einem kritischen Blick verfolgt, wie Dr. Rudolf Blocher in bwd 12/1974 hat erkannt, dass schon der Verlauf des Teppichgeschäfts in der zweiten Jahreshälfte erste Ermüdungserscheinungen erkennen lässt. Der Umsatzwert ergibt erstmals in der Nachkriegszeit ein Minus. Darüber hinaus: „Das sensationelle Wachstum der Tuftingindustrie, speziell in den Jahren nach 1970, ist sicherlich zu einem ganz entscheidenden Anteil eine Funktion des Preises. Die Herstellerabgabepreise fielen von 1965 mit 17,20 DM/qm auf 13,60 DM/qm 1971, mit dem Tiefstand bei 12,50 DM/qm 1973.“

Das sind Entwicklungen, die zum Teil auch zu Lasten der Qualität gehen, übrigens einer der Gründe, dass das Teppichsiegel der Europäischen Teppichgemeinschaft für Deutschland sowie die damit verbundene Prüfung und Bestätigung durch das Deutsche Teppichforschungsinstitut in Aachen ins Leben gerufen wird. In dieser Zeit, die von der dramatischen Erdölkrise mit allen ihren negativen konjunkturellen Folgen überlagert wird, nehmen nicht alle die Zeichen der Zeit wahr. Trotz des Drucks der Verhältnisse wird der Kapazitätsaufbau bei Tuftingbelägen nicht beendet. Das ganze Jahr 1974 über ist von neuaufgestellten oder noch bestellten Tuftingmaschinen und Druckanlagen bis zu Werksneubauten zu hören. „Das alles trotz Preisdruck, Preisschleuderei, überhöhten Lagerbeständen, Sonderangeboten   und schließlich Kurzarbeit“, moniert Blocher. Die Schwächephase hält an.

Das Handwerk formiert sich gegen Fertigparkett

Dürrejahre sind zu überstehen, das gilt für die dominierenden Teppichbeläge, aber noch mehr für die Wettbewerber um die Fußbodenflächen. Parkett schreibt in dieser Zeit, als in bwd keramische Fliesen, Wandbekleidung, Sonnenschutz und Farben einen respektablen redaktionellen Anteil haben, besonders schlechte Zahlen. Bemerkenswert ist der allmähliche, mit viel Widerstand aus dem Handwerk begleitete Markteintritt des Fertigparketts aus schwedischen Quellen. Zwar ist das Produkt in Deutschland nicht gänzlich unbekannt, weil es über Lizenznehmer schon sehr frühzeitig eingeführt war, aber wahrgenommen wird die revolutionäre Innovation auf breiter Front erst zu Beginn der Siebziger.

Die Fußbodenheizung bewegt die Branche

Eine technische Entwicklung, die die Fußbodenbranche auch heute noch genauso intensiv bewegt wie damals, ist die der Fußbodenheizung. Quasi als Folge der einschneidenden Erdölkrise wird in Deutschland das Thema Energiesparen plötzlich hochaktuell. Hat man bisher überhaupt noch nicht über Heizkosten nachgedacht, gilt es jetzt an Lösungen dieser Probleme zu arbeiten. Eine dieser Lösungen ist die flächige Heizung via Boden, auf die sich die gesamte Belagsbranche einzustellen hat. Das gilt gleichermaßen für das Handwerk: Alfred Chini nimmt in der Januarausgabe 1980 im Fachteil „estrich+ belag“ das Thema auf.

Dabei geht es um ein neues Merkblatt. Unter dem gemeinsamen Dach des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes hat die Bundesfachschule Fliesen erstmals zusammen mit der Bundesfachgruppe Estrich und Bodenbeläge eine gemeinsame technische Vorschrift erarbeitet und „zwar in Zusammenarbeit mit zehn weiteren Bundesverbänden, die alle bereit sind, die vielen differierenden eigenen Vorschriften und Empfehlungen in Zukunft durch dieses Merkblatt zu ersetzen“, schreibt Chini. „Damit wird dieses Blatt in der Praxis eine stärkere Wirkung haben als eine DIN-Vorschrift.“ Schon damals wird die beheizte Fußbodenkonstruktion als das klassische Beispiel notwendiger echter Kooperation verschiedener Gewerke bei der Herstellung eines Bauteils, des Fußbodens, gesehen.

Seit Ende der 70er geht es in der Branche wieder aufwärts. Die Heimtextil in Frankfurt registriert das Messegeschehen als erste Bestätigung der damals bescheidenen Ansprüche. „Es wurde gut verkauft und zwar nicht nur über den Preis, sondern auch über Qualität“, schreibt bwd in einem Messebilderbogen. Die Baubiologie wird zum zarten Pflänzchen auch im Fußbodenwesen. Erstmals widmet sich die Zeitschrift anlässlich einer Reise nach Portugal dem Werkstoff Kork.

Lesen Sie in Folge 4, wie in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts das Bodenlegerhandwerk nach langjährigen Bemühungen endlich aufgewertet wurde.