70 Jahre bwd – Folge 2 60er Jahre: Neue Belagsarten verlangen neue Vorschriften

In den 60er Jahren spielen sich im Bodenbelagsmarkt revolutionäre Vorgänge ab. Außergewöhnlich ist zum Beispiel der Erfolg der PVC-Beläge und der Vinyl-Asbest-Fliesen, wobei die bis dahin vorherrschenden Asphalt-Tiles zunehmend durch Flexfliesen verdrängt werden. Auch der Vormarsch der PVC- Beläge auf Trägerschicht ist beachtlich. Und schließlich drängt alles zum Teppichboden.

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boden wand decke - Titelseite, Ausgabe 3-1962. - © bwd

Die „Plastikfilzbeläge“, zunächst vornehmlich aus französischen Produktionen, reiten  Anfang der 60er Jahre auf einer wahren Erfolgswelle, so dass auch deutsche Hersteller auf dieses Produktsegment aufspringen und im Jahre 1962 bereits 17 Fertigungsstätten vermelden können. 1963 gibt es deren gar 28 in der Bundesrepublik. Und ein weiterer neuer Belag drängt auf den Markt: Der mengenversprechende Nadelfilzbelag.

Anfangs weiß man zwar noch nicht, wie man diese Neuheit einordnen soll und nach Auffassung mancher Hersteller ist sie eine eigene Gattung, die mitten zwischen weichen Teppichböden und harten Bodenbelägen liegt. Bei vielen überwiegt dann doch aber die Meinung, die Zuordnung zum Teppich wäre angemessen. Auch bei dieser Neuentwicklung kommen die ersten Varianten aus dem französischen Nachbarland. Ob der Nadelfilzbelag überhaupt langfristig erfolgreich sein würde, beobachtet man zunächst noch mit einer gesunden Skepsis, denn Teppichböden stehen erst am Anfang ihres Siegeszuges, allerdings mit stark zunehmender Tendenz. Marktübersichten in bwd aus 1961 zeugen von 161 Qualitäten, 1964 sind es 354 (250 inländische und 104 ausländische).  Nicht nur innerhalb des gesamten Bodenbelagsmarktes, sondern auch innerhalb des Segments der Teppichböden spielen sich in diesen Jahren beachtliche Vorgänge ab, denn auch was das Material angeht, ist ein „massiver Vorstoß der synthetischen Chemiefasern wie Dupont 501 und Allyn 707 zu verzeichnen“, heißt es in einem bwd-Blick auf die fertigungstechnischen Entwicklungen.

Große Werbung in der Öffentlichkeit

Für diejenigen, die die Produkte auf den Boden bringen sollen, gibt es ebenfalls neue Herausforderungen. Die Bodenleger müssen nicht nur ihr Handwerk beherrschen, sondern sie müssen die Produktvielfalt kennen, die sie ihrem Kunden empfehlen können. Kaufmännisches Geschick und Verhalten gewinnt zunehmend an Bedeutung. Unerlässlich ist in diesem Zusammenhang auch die Anforderung an die Hersteller, über die Eigenschaften und Anwendungsgebiete ihrer Beläge dem Verarbeiter sachliche Informationen zu liefern, und zwar über die „große Werbung in der Öffentlichkeit“ hinaus. Die ist in der Tat außergewöhnlich im Verhältnis zu dem, was man zu dem Zeitpunkt von anderen Belägen kennt. So wirbt zum Beispiel das Redaktionsurgestein von bwd, Wolfgang Hart, damals noch in der Industrie tätig und später weit über 40 Jahre für das bwd aktiv, 1963 ganzseitig für die Vorzüge von DLW-Linoleum im Politmagazin „Der Spiegel“.

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So wurde in den 60er Jahren Linoleum beworben. - © bwd

Teppichboden vermittelt das Gefühl des Geborgenseins

Derartige Maßnahmen der kapitalkräftigen Bodenbelagsindustrie beklagt insbesondere die schon damals durch Zurückhaltung gekennzeichnete Parkettbranche. Die Teppichbodenprotagonisten nutzen die ganze Bandbreite ihrer Möglichkeiten. In bwd 2/1963 erscheint ein Beitrag von Ernst Butenand, in dem der Autor eine Klassifizierung der Böden nach dem Verwendungszweck fordert. Er erläutert in der Sprache jener Zeit die Vorzüge der neuen Belagsgeneration: „Um wieviel geselliger wirkt eine Sitzgruppe, wenn sie auf einem Teppich steht. Ein Teppichboden vermittelt das Gefühl des Geborgenseins. Je nach Farbe kann sogar eine festliche Atmosphäre geschaffen werden. Die Gehgeräusche werden gedämpft. Man kann sagen, dass vom Teppichboden eine positive psychologische Wirkung ausgeht, die ihn zu einer marktfreundlichen Ware macht und, und, und …“ Butenandt macht allerdings auch zwei Defizite aus. Die in den Augen der Verbraucher vorhandene Skepsis der mangelnden Hygiene, die mit Überzeugungsarbeit allerdings ausgeräumt werden könne, und die Lebensdauer. Gerade dafür wäre eine Klassifizierung die richtige Maßnahme, denn wenn der richtige Teppich am richtigen Ort liege, wäre das Wagnis der Verlegung im Hinblick auf seine Dauerhaftigkeit wesentlich geringer. Vorausschauend wurden vier Gruppen von leichter bis mittlerer zu schwerer und schwerster Beanspruchung in dieser Arbeit empfohlen.

Bodenleger-Pfuscher-Ausgleichskasse

Das Thema Schall- und Wärmeschutz durch Teppichböden wird ebenfalls in vielen Veröffentlichungen behandelt. Schon in der Februarausgabe spricht Dipl.-Ing Hans W. Bobran 1962 von den erheblichen Vorteilen des Teppichbodens, was die Minderung des Gehschalls anbelangt, ein Begriff, der erst im Zuge des störenden Laminatsounds über 40 Jahre später wieder in die Ohren der Branche dringt.

Die neuen Belagsarten verlangen neue Normen und Vorschriften. So berichtet Dipl.-Volkswirt Dietrich Wentz ebenfalls im Februar 1962, dass die DIN 18365 Bodenbelagsarbeiten kurz vor der Veröffentlichung steht. Erstmals liegt damit ein Werk vor, dass von DIN-Normen zur Prüfung von Bodenbelägen und RAL-Registrierungen von Gütebestimmungen für die einzelnen Belagsarten bis hin zu technischen Ausführungsbestimmungen für Aufträge nach VOB reicht. Die Grundlagen dieser Norm in die Köpfe der bodenlegenden Fachzeitschriftenleserschaft zu bringen, übernimmt der damalige Präsident des Bundesverbandes des Bodenlegerhandwerks e. V. (BVB) Erich Rosenbaum mit einer ausführlichen Serie zur „VOB und Bodenlegerpraxis“, die 1968 in bwd läuft.

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Ein effektvoller Teppichboden aus den 60er Jahren: Restaurant "Zum alten Bergamt", Dortmund. Anker-Tournay-Teppichboden 5384, Dessin 15752/5, 3-chlorig. - © Anker/bwd

Estrichleger, Parkettleger, Raumausstatter, Maler: alle sitzen in einem Boot

Rosenbaum ist schon damals die Triebfeder, die den Bodenlegern auf dem Wege zur  Anerkennung als Vollhandwerker den notwendigen Schwung verleitet. So schreibt er in einem Leitartikel im September 1966: „Das Bodenlegen kann von jedem, der etwas oder vielleicht auch gar nichts davon versteht, betrieben werden. Dass es im Grunde aber eine handwerkliche Tätigkeit ist, wer möchte das bestreiten. Die allgemeinen technischen Vorschriften der DIN 18365 Bodenbelagsarbeiten verlangen vom Verarbeiter die gleichen Voraussetzungen im Hinblick auf Umfang, Genauigkeit, Wissen und Erfahrungen, wie das bei den anderen Fußboden-Vollhandwerkern der Fall ist. Ob Estrichleger, Parkettleger, Raumausstatter oder Maler, sie sitzen alle in einem Boot. Solange es möglich ist, das Bodenlegen wild zu betreiben, solange zahlen alle – ob Industrie, Handel oder Handwerk und natürlich auch die Verbraucher – in ein und dieselbe Bodenleger-Pfuscher-Ausgleichskasse.“ Für eine Neuordnung im gesamten Bereich des Fußboden-Handwerks zu sorgen, sollte deshalb das Anliegen und auch die Verpflichtung aller Beteiligten sein, setzt sich Rosenbaum damals vehement für die Anerkennung des Bodenlegerhandwerks ein.

Estrich- und Parkettleger streiten in den 60er Jahren

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Titelseite der bwd-Ausgabe 4-1968. - © bwd

Schubfeste Parkettverlegung und Estriche ist ein branchenübergreifendes Thema, das die gesamten 60er Jahre bewegt. Die spannungsübertragende Verklebung des hygroskopischen Parkettholzes mit seinen riesigen Kräften direkt auf den Estrich stellt den Estrichhersteller vor Probleme, die er bisher bei anderen Belägen gar nicht oder doch nur in ganz in unbedeutendem Maße kennengelernt hatte. Obering. Wilhelm Schütze fordert in bwd 9/1963 Estrichleger und Parketthandwerker sollten sich nicht streiten, sondern verständigen.

Das ist nicht ganz einfach, denn man hat in jenen Jahren zunächst sehr eifrig über die grundsätzliche Eignung schwimmender Estrichkonstruktionen diskutiert, die im Zuge immer weiter verbesserten Wärme- und Schallschutzmaßnahmen in den Gebäuden an Bedeutung gewinnen. Letztlich steht auch die Qualität in der Kritik, vor allem seitens des Parketthandwerks, die die zu schwache Oberflächenfestigkeit moniert. Es gibt zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen, die letztlich in dem sogenannten „Kieler Prozess“ enden. Der bekannte Holzforscher Prof. Dr. Keylwerth hält auf der Mitgliederversammlung des deutschen Parketthandwerks im Februar 1968 ein richtungsweisendes Referat, in dem er nachweist, dass nach seinen Untersuchungen die gefundenen Werte der freien ungehinderten Quellung und nicht der schubfesten Verklebung entsprechen. Damit steht fest: „Das Quell- und Schwindverhalten beansprucht den Estrich nicht in dem Maße, wie von der Unterbodenfraktion vermutet.“ All dieses ist im April 1968 in bwd nachzulesen, wobei man allerdings zugestehen muss, dass das Thema Parkett zu dieser Zeit nicht die Seiten der Zeitschrift füllt.

Der Teppichboden startet durch

Die Berichterstattung steht eindeutig im Zeichen der Teppichböden und der Ausweitung der Produktionskapazitäten. Tendenzen aus diesem Segment: Getuftete Ware ist auf der Überholspur genauso wie Rollenware. Vollsynthetische Produkte übertreffen diejenigen auf Jutegewebe, die Farben werden heller, neue bedruckte Muster kommen auf und der Glatt- und Kompaktschaumrücken macht sich zunehmend breit.

Auch die redaktionelle Herangehensweise an Themen ändert sich in bwd zu dieser Zeit. Es geht nicht mehr um grundsätzliche Dinge wie Schall, Wärme und Oberflächenfestigkeiten, sondern ganz konkret um Beläge, Kleber oder Maschinen. Definitionen und grundsätzliche Klarstellungen in Beiträgen wie einem Fußboden-ABC machen einen beträchtlichen Teil des Redaktionsvolumens in jenen Jahren aus. Das informative Thema Schadensfälle nimmt in der Zeitschrift zu. Auch hier steht der umtriebige Rosenbaum für fachlich fundierte Informationen rund um das Fußbodenlegergewerk. „Typische Verlegefehler“ heißt die Serie, die im November 1966 ihren Anfang macht und in verschiedensten Facetten bis heute fortgesetzt wird.

60er Jahre: bwd wird bunter

Was noch auffällt: Endlich werden in der Zeitschrift Gesichter gezeigt, was bis dato zugunsten sachlicher Information über technische Zusammenhänge eher verpönt ist. Lediglich bei Todesfällen erscheint einmal ein Bild des Betroffenen. bwd wird bunter. „So verkauft man Bodenbeläge“, „Varianten der Teppichpräsentation“, „Verkaufshilfen“, „Definitionen von Zielgruppen“ lauten die Themen. Die Unternehmen haben gute Jahre hinter sich. Es wird verlegt, verlegt und verlegt. Die Objekte weisen bisweilen gigantische Größenordnungen auf. Die baulichen Strukturen und Lagerkapazitäten reichen nicht mehr aus. Viele Unternehmen platzen aus ihren Nähten. Das Kundenverhalten verändert sich. Ein von der Rolle abgeschnittener Teppichzipfel reicht nicht mehr, um einen Auftrag einzufahren. Die Branche befindet sich im Wandel, geschuldet dem Teppichboom, denn dieser Belag benötigt Raum für die vier Meter ­breiten Bahnen, um gesehen zu werden.

Lesen Sie in Folge 3, wie Teppichwahn und Wirklichkeit in den 70er Jahren aufeinander treffen.