Holger Wiehle ist Parkettlegermeister, Obermeister der Innung Parkett und Fußbodentechnik Nordost, Sachverständiger und noch manches mehr. Wir sprachen mit ihm in Berlin über den Nachwuchs im Handwerk und die Zukunft der Innungen.
bwd Die Innung Parkett und Fußbodentechnik Nordost ist der bundesweit größte Zusammenschluss von Landesinnungen mit 136 ordentlichen und 70 Gastmitgliedern. Sie sind als Obermeister unter
anderem der Ansprechpartner für die Meisterausbildung. Stellvertretender Bundesinnungsmeister beim Bundesverband Parkett und Fußbodentechnik (BVPF), Bundesinnungsverband Parkettleger-Handwerk und Bodenleger-Gewerbe in Berlin sind Sie ebenfalls. Zudem sind Sie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. Und als Parkettlegemeister leiten Sie zusammen mit Ihrem Bruder Christian das Familienunternehmen Parkett Wiehle in Berlin. Das sind ganz schön viele Hochzeiten, auf denen Sie tanzen. Wie geht das alles zusammen? Mit wenig Schlaf oder mit guter Terminplanung?
Holger Wiehle Sowohl als auch. Womit wir, mein Bruder und ich, unser Geld verdienen, ist die Firma, und die muss laufen. Eine gute Arbeitsaufteilung mit Transparenz und viel Kommunikation ist notwendig, um nicht nur Termine zu setzen, sondern diese auch wahrzunehmen. Dazu gehören Sachverständigengutachten für Gerichte, private Auftraggeber und Versicherungen. Und dann gibt es die Innung und den Verband. Oft erscheint es, dass Sie am Ende der Woche nie genug getan haben. Das geht auch den anderen Kollegen des Vorstandes so, speziell im Bundesverband.
bwd Als Sachverständiger haben Sie eine große Verantwortung…
Holger Wiehle …und die ist nicht unwesentlich. Morgen zum Beispiel geht es um achtzig Wohnungen mit fehlerhaften Oberflächen. Hier reden wir nicht nur über ein paar Tausend Euro, um die gestritten wird. Oft geht es für die Beteiligten um Existenzen. Für die Beurteilung und Beantwortung der fachlichen Fragen müssen Sie als Sachverständiger auf dem technisch neuesten Stand sein, sich entsprechend weiterbilden und jeden Tag fachaktuell informiert sein. Das bedeutet, dass Beurteilungsgrundlagen nicht immer nur Normen als Mindestanforderungen sein können, die unter Umständen schon ein paar Jahre alt sind.
bwd Wo sehen Sie die Bodenbeläge innerhalb der Baubranche, die ja im Moment gerade im Neubau ziemlich schwächelt?
Holger Wiehle Die Baubranche ist unterteilt in Bauhauptgewerke und den Ausbaubereichen; das ist wie eine lange Kette. Wenn es weiter vorn schwächelt, dauert es, bis es bei uns ankommt. Es wird momentan nicht viel neu gebaut. Das ist schon deutlich zu spüren. Aus diesem Grund werden auch vermehrt Renovierungsaufträge im Bestand beauftragt. Viele Unternehmer fassen öffentliche Aufträge nicht mehr an, auch aufgrund der Bürokratie. Der Aufwand für das Ausfüllen der Leistungsverzeichnisse steht selten im Verhältnis zur Menge der auszuführenden handwerklichen Arbeit. In Bezug auf unsere Fachkräfte müssen wir darauf achten, dass es uns nicht ähnlich geht, wie in der Gastronomie nach der Pandemie. Dort sind viele entlassen worden. Sind Mitarbeiter erst mal weg, kommen Sie meist nicht mehr zurück. Dazu kommt die Situation mit den Baumaterialien. Das Lieferkettengesetz ist für mein Dafürhalten nicht vom Tisch, auch wenn es entschärft wurde.
Junge Leute in Prozesse miteinbinden

bwd Zwei wichtige Stichworte: Nachwuchsförderung und Innung der Zukunft. Keiner weiß, was in zehn Jahren ist, aber es ist klar, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt: Ohne Nachwuchs brauchen wir über die Innung in zehn Jahren nicht mehr sprechen. Wer mit Kindern und Jugendlichen von heute zu tun hat, sieht sich mit social media, mit dem Einfluss von Influencern, mit einer manchmal eher knappen Aufmerksamkeitsspanne und mit vielem mehr konfrontiert, was für Menschen mit 50 plus nicht immer einfach zu verstehen ist. Wie lassen sich junge Menschen begeistern für ein Handwerk, das auch für körperliche Arbeit steht, bei dem auch auf den Knien herumgerutscht werden muss?
Holger Wiehle Ich bin schon sehr lange an dem Thema dran. Als ich in die Führungsriege des Bundesverbands aufgestiegen bin, kam das wieder auf mich zu, Stichwort Innung 4.0 (2017 ins Leben gerufenes Zukunftsprojekt des BVPF, um neue Mitglieder zu generieren und die Innungen für die Zukunft aufzustellen – Red). Das eingestaubte Image der Innungen mit älteren Herrn, die meistens von einem Podium auf die Mitglieder schauten, hat sich grundlegend verändert. Und: Dass wir den jungen Menschen wenig zutrauen, ist völlig falsch. Es gibt Studien, die vergleichen die Babyboomer mit der Generation „Z“. Die meisten jungen Leute sind gut ausgebildet und sehr intelligent, haben aber Schwierigkeiten, selbst etwas zu anzupacken. Unsere Generation musste einiges tun, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Den Kindern sollte es einmal besser gehen – haben wir gesagt und gelebt. Leider haben wir Ihnen somit aber auch sehr viel Verantwortung abgenommen.
Die jungen Menschen wollen Aufmerksamkeit und Bestätigung, sie wollen aber auch eine gewisse Flexibilität in ihrer Arbeit haben. Statt starre Anweisungen „der Chef sagt“, wäre es aus meiner Sicht hilfreich, sie in Prozesse mit einzubinden. Also auch Verantwortung übertragen. Und das ist ja durchaus möglich. Man muss ihnen aber auch Grenzen aufzeigen. Genau dies sollte schon in der Schule anfangen. Leider haben wir zu viel Lehrer und vor allen Dingen Eltern, die keinen Leistungsdruck für ihre Kinder wollen. Die große pädagogische Erkenntnis ist hier: Wenn es auch mal schlecht geht, wird der Staat euch helfen. Das halte ich für falsch.
bwd Wie bekommen Sie denn Jugendliche dazu, überhaupt ins Blickfeld des Berufs Parkettleger zu geraten? Denen zu
sagen: Uns gibt es und du könntest dabei sein?
Holger Wiehle Regional gibt es Ausbildungsbörsen. Jeder kann sich um Schulpatenschaften bewerben. Man muss Kontakt zu den Schulleitungen suchen, Praktika anbieten. Es gibt die Initiative „Das ist Bodenhandwerk“. Hier werden alle vier Säulen, die den Boden betreffen, prima erklärt. Des Weiteren werden Ansprechpartner und Ausbildungsbetriebe in den entsprechenden Regionen benannt.
„Das eingestaubte Image der Innungen mit älteren Herrn, die meistens von einem Podium auf die Mitglieder schauten, hat sich grundlegend verändert.“
Holger Wiehle
bwd Viele Jugendliche sind heute auf social media unterwegs, also Insta, TikTok etc. Sind Sie dort präsent?
Holger Wiehle Glücklicherweise werde ich hier sehr gut unterstützt. Vom Vorstand der Innung Nordost steht Ericco Krügerke mit seinem Know-how und für die Initiative „Das ist Bodenhandwerk“ steht Timo Dätsch aus dem Vorstand des BVPF immer zur Verfügung. Und unsere Förderer von Industrie und Handel unterstützen immens.
bwd Wenn man sich auf Jobbörsen umsieht, sind da immer die gleichen Stehtische mit Hussen umhüllt, immer die gleichen Kulis und Beutel als Give-aways, aber eher wenig Action. Wie wäre es mal mit einer Live-Verlegung eines Parkettbodens, verbunden mit der Aufforderung an die jungen Damen und Herren Besucher, selbst Hand anzulegen?
Holger Wiehle Ja, zu einer regionalen Ausbildungsoffensive waren wir mit unserer Firma bereits aktiv. Hier durften die jungen Leute einen Tafelboden mit Schleifgerät bearbeiten und auf einer größeren Parketttafel die Parkettschleifmaschine ausprobieren. Überraschend war, dass wir zumeist weibliche Besucher an unserem Stand hatten. Bei dieser Börse kamen vormittags die Schulen, in der Regel neunte Klasse, die sich nach Praktika-Plätzen erkundigt haben. Auch Jugendliche, die bereits die Schulzeit beendet hatten, kamen zum Nachmittag. Meist waren sie mit ihren Eltern vor Ort. Leider hatten die Eltern größeres Interesse als die jungen Leute. Positiv ist, dass in der letzten Zeit auch politisch publiziert wird, dass es nicht verwerflich ist, mit den Händen zu arbeiten. Auch schön ist, dass viele Eltern erkannt haben, dass Handwerk Zukunft hat. Die Außendarstellung hat sich gewandelt.
bwd Eben ging eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung durch die Presse, nach der nur 17 Prozent der befragten Jugendlichen einen handwerklichen Beruf erlernen möchten. Einflussgröße Nummer eins bei der Berufswahl seien nicht Zukunftsaussichten, sondern Status und Ansehen im sozialen Umfeld.
Holger Wiehle Es wurde lange Zeit gesagt: Wenn du etwas werden willst, musst du studieren. Dann machen die das, was die Eltern sagen. Es gibt so eine große Zahl an Studiengängen, da wird dir schwindelig. Im dritten Semester merken viele: Nee, vielleicht war das doch nichts, und fangen etwas anderes an. Und sind dann 24, 25, 26 Jahre und machen doch eine Lehre. Mit dreißig sind sie dann durch. Wie könnte es aussehen? Wer mit 16 aus der Schule kommt, beginnt eine dreijährige Lehre, dann sind die mit 19 Geselle. Mit Fleiß und eventuell beruflicher Weiterqualifizierung wohnen sie mit dreißig im eigenen Haus und können sich und ihrer Familie nicht nur einen Urlaub im Jahr leisten. Die Möglichkeiten sind groß, wenn man eine Ausbildung abgeschlossen hat.
„Wir als Innung Nordost wollen junge Leute einbinden, zum Beispiel auch die Leistungsträger von morgen.“
Holger Wiehle
bwd Wie sieht das mit der Innung aus?
Holger Wiehle Wir müssen junge Leute mit ins Boot der Innungsarbeit holen. Dies heißt Verantwortung abgeben und Wertschätzung zeigen. Wir als Innung Nordost wollen junge Leute einbinden, zum Beispiel auch die Leistungsträger von morgen, die jetzt mit dem Meisterkurs fertig sind und auch zukünftig werden. Wir müssen versuchen, zu vermitteln, wie wichtig diese Arbeit ist.
bwd Ich bin, sagen wir, 23. Parkettleger. Wir haben zwei kleine Kinder, wir wollen bauen. Ich weiß gerade nicht, wo hinten und vorn ist vor lauter Aufgaben. Fix und fertig am Abend. Da kommt einer und sagt: Mach mal mit in der Innung. Wann soll ich das denn noch machen? Was kann mich dazu bringen, mir das noch obendrauf zu satteln?
Holger Wiehle In Ihrer alltäglichen Arbeit wird Ihnen sicher nicht immer alles gelingen. Neue Baustoffe und Produkte, schwierige Kunden, Rechtsfragen etc. Wenn Sie es schaffen, zu Veranstaltungen zu gehen, wo Sie genau diese Punkte auf den Tisch legen können, dann finden Sie im Verbund Gehör und mit Sicherheit jemanden, dem es ähnlich geht. Versuch doch mal das oder wende dich an den. Diese Schnittmenge, diesen Mehrwert, das macht uns stark. Die Probleme des Einzelkämpfers: Auch damit setzt Innung sich auseinander. Engagement kostet Zeit. Auf der einen Seite sowie auf der anderen Seite. Ein kleiner Beitrag von jedem macht uns besser, stärker in unserer Branche und liefert den Mehrwert.
bwd Angenommen, ich mache mit – nicht in jeder Sitzung und bei jedem Unterthema, aber ich will prinzipiell dabei sein. Wie viel Zeit muss ich da investieren?
Holger Wiehle Es gibt Mitglieder, die schon lange nicht mehr zu Innungsversammlungen erschienen sind. Die aber dankbar sind, dass sie ein-, zwei-, dreimal die Woche eine Mail bekommen, in denen solche aktuellen Fragen behandelt werden. Wenn man sie liest.
bwd Lesebestätigung anfordern…
Holger Wiehle So weit wollen wir nicht gehen, auch noch zu kontrollieren, ob das gelesen wird. Diejenigen, die es lesen und Fragen haben, telefonieren häufig im Anschluss mit mir. Wir hatten früher viele Stammtische in den unterschiedlichen Regionen. Leider haben sich diese nicht überall fortgesetzt. In Berlin gibt es zum Beispiel einmal im Monat einen Fußbodenstammtisch. Da kommen auch Kollegen hin, die noch nicht in der Innung sind.
bwd Online-Konferenzen sind seit Corona alltäglich geworden. Da muss man nirgendwo hinfahren. Wäre das mal eine Idee?
Holger Wiehle Darüber habe ich auch schon mit meinen Vorstandskollegen gesprochen. Eine Innungssprechstunde online. Das könnte kommen, aber ist derzeit noch nicht umgesetzt. Meine Idee wäre erst mal ein aktuelles Thema vorzustellen, dann Neuigkeiten und Fragen zu diskutieren. Für unsere Sachverständigen konnten wir schon derartige Treffen durchführen.
bwd Herr Wiehle, besten Dank für das Gespräch.