Nachhaltigkeit Fußböden und Ökologie: Der grüne Deal im Tagesgeschäft

Zwischen politischen Idealen und wirtschaftlicher Innovationskraft liegen vermeintlich Welten. Aber für eine „grünere“ Zukunft braucht es auch die Bodenbranche. Nachhaltige Errungenschaften, Projekte und Ziele zeigen den Ist-Zustand vor dem Jahreswechsel.

Recycling und Kreislaufwirtschaft prägen inzwischen auch die Fußbodenbranche. - © Bild: Bundesverband Großhandel Heim & Farbe

Mit dem 2019 beschlossenen Green Deal will die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden. Dabei sollen die CO2-Emissionen innerhalb der EU bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert werden. Ein weiteres Ziel ist es, die Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Die politischen Entscheidungen des Green Deal mögen in erster Linie abstrakt klingen und weit weg erscheinen, sie sind aber längst im Ausbaugewerbe angekommen und haben bereits im Jahr 2023 ganz konkrete Auswirkungen auf das bodenlegende Handwerk, den Handel und die Industrie.

Green Deal: Die Industrie geht voran

Die Bodenbelagsindustrie ist vom Grünen Deal dahin gehend betroffen, als dass sie mit Bodenbelägen Bauprodukte herstellt. Der Bausektor gehört zu den Bereichen, die beim Green Deal in einem besonderen Fokus stehen. Gebäude sind für etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs und für ca. 36 Prozent der CO2-Emissionen in der Europäischen Union verantwortlich. Daher werden Bauprodukte eindeutig im "Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft" als eine der Zielanwendungen für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen benannt.

Eine weitere Gesetzgebung ist die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (ESPR), auch bekannt als Sustainable Products Initiative (SPI). Sie ist bestrebt, alle Phasen des Lebenszyklus eines Produkts zu berücksichtigen, ohne die Funktionalität, Sicherheit und Erschwinglichkeit negativ zu beeinflussen. Des Weiteren gibt es Digitale Produktpässe (DPPs), die Informationen über den Lebenszyklus des Produkts in der gesamten Lieferkette enthalten.

Produktpass Nachhaltigkeit entwickelt

Das TFI-Institut für Bodensysteme unterstützt die Branche durch verschiedene Kooperationen in Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Aktuell werden sowohl an Bodenbelägen aus Monomaterialien als auch an trennbaren Mehrkomponentensystemen gearbeitet. Dabei spielt der Einsatz nachhaltiger Materialien eine wichtige Rolle, wie etwa nachwachsende Rohstoffe oder biobasierte Polymere (Plastik). In Kooperation mit der Industrie entwickelte das Institut den Produktpass Nachhaltigkeit, mit dem Hersteller nachweisen können, dass sie mit ihren Produkten die hohen Anforderungen der "Green-Building"-Zertifizierungssysteme erfüllen können.

Diskutiert wird in der Branche zudem, wie sinnvoll es ist, eine Klimaneutralität über Kompensationszahlungen, als eine Art "Freikauf" von klimaschädlichem Verhalten, zu praktizieren.

Zurzeit kooperiert das TFI mit 18 Partnern aus Industrie und Wissenschaft, um das europäische Projekt "CISUFLO" (CIrcular SUstainable FLOor coverings) umzusetzen. Unter der Leitung von Centexbel (eine Organisation in der Textil- und Kunststoffindustrie) wird gemeinsam mit dem Dachverband der Bodenbelagsindustrie European Floor Coverings Association (EUFCA) und seinen Mitgliedsverbänden bis Mitte 2025 an einer Branchenlösung zur Umsetzung der Ziele aus des Green Deals gearbeitet. Daran arbeiten die European Resilient Flooring Manufacturers Institute (ERFMI), die European Carpet & Rug Association (ECRA), der Verband der Europäischen Laminatbodenhersteller (EPLF) sowie der Verband der mehrschichtig modularen Fußbodenbeläge (MMFA) mit.

Forststrategie betrifft auch Laminatsektor

Die Mitglieder des Verbands EPLF arbeiten nach eigenen Angaben bereits an Lösungen, die Abfall reduzieren und Recycling sowie Wiederverwendungen fördern. Eine der Initiativen, die für die Laminatbodenindustrie von Bedeutung sind, ist die EU-Forststrategie. Diese zielt darauf ab, den Einsatz von Holz für Energiezwecke und kurzlebige Produkte zu minimieren. Der EPLF setzt beim Produkt- und Verpackungsdesign an, um bei neuen Produkten den gesamten Lebenszyklus im Sinne der Nachhaltigkeit zu denken. Auch die Laminatbodenindustrie fokussiert sich darauf, ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft über den gesamten Produktlebenszyklus umzusetzen. Doch im Hinblick auf Inflation, Kriege, Arbeitskräftemangel sowie den nach wie vor hohen Rohstoff- und Energiepreisen steht die Industrie vor großen Herausforderungen. Der EPLF betont daher, dass es ohne Interessenvertretungen, technische Entwicklungen und eine enge Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Branche nicht gelingen werde, diese Herausforderungen zu überwinden und die Nachhaltigkeitsziele wirtschaftlich und umweltfreundlich voranzutreiben.

Fußböden und Ökologie: Die Sache mit dem Kunststoff

Ähnlich ist es auch beim MMFA. Der Verband überarbeitet seine Prozesse nicht nur hinsichtlich des Produktdesigns, sondern auch in Bezug auf Materialbeschaffung, Verpackung, Transport und End-of-Life-Prozesse (z.B. Wiederverwendung und Recycling). Dies ergebe sich allein aus der Tatsache, dass es sich bei Multilayer Modular Flooring (MMF) um eine komplexere Produktgruppe handelt, die viele verschiedene Produktionstechniken und Materialzusammensetzungen umfasst. Je mehr unterschiedliche Schichten ein Produkt beinhaltet, desto herausfordernder die Aufgabe.

Insbesondere PVC steht in Sachen Klimafreundlichkeit schlecht dar, da der Bodenbelag aus Rohöl gewonnen wird und im Herstellungsprozess mit gefährlichen und teils giftigen Chemikalien behandelt wird. EU-Entscheider diskutieren bereits seit über 20 Jahren über ein mögliches PVC-Verbot. So weit ist es noch nicht. Mit dem Green Deal wurde die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) mit einer Untersuchung der von dem Bodenbelag und seinen Zusatzstoffen ausgehenden Risiken beauftragt.

Mehr als acht Millionen Tonnen PVC recycelt

Nach der Reinigung und Trocknung steht hochwertiges Recyclat zur Verfügung, das für die Produktion neuer Böden verwendet wird. - © Tarkett

Doch der PVC-Sektor ist rührig: Die Initiative Vinylplus Deutschland e. V., die aussagt, mit 63 Mitgliedsunternehmen die gesamte PVC-Wertschöpfungskette zu repräsentieren, beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Nachhaltigkeit. Nach eigenen Angaben hat der Verein seit dem Jahr 2000 insgesamt 8,1 Millionen Tonnen PVC recycelt und konnte damit 16,2 Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Speziell in der Bodenbelagsbranche ist die Arbeitsgemeinschaft PVC-Bodenbelag Recycling (AgPR) ein Begriff. In den 1990er-Jahren von PVC- und Bodenbelagsherstellern gegründet, werden heute in Initiative von Altro, Gerflor, Polyflor und Tarkett in Troisdorf bei Köln PVC-Beläge recycelt, die über Sammelpartner und Gesellschafter eingesammelt werden. "Die daraus produzierten 2.500 Tonnen Pulver sind Teil der von den ERFMI-Mitgliedern über VinylPlus berichteten jährlichen Recyclingmenge (2022) von 145.000 Tonnen pre- und post-consumer PVC-Fußbodenbelägen", wie es Jochen Zimmermann, Geschäftsführer der AgPR auf Anfrage der bwd schreibt.

In Deutschland wird über professionelle Entsorger und kommunale Recyclinghöfe gesammelt. In der Schweiz betreibe die ARP das Sammelsystem, aus Österreich lieferten kommunale Entsorger einiger Bundesländern. "Die verarbeiteten Verlegereste entsprechen einer vollwertigen Fußbodenrezeptur und ersetzen Neuware. Der energetische Aufwand für das Recycling ist geringer verglichen zur Produktion von Neuware, das reduziert die Kosten und den CO2-Fußabdruck", so Zimmermann. "Mit einem Lösungsmittelverfahren könnten auch PVC-Böden mit Filz oder Gewebe rezykliert werden. ERFMI und seine Mitglieder untersuchen Möglichkeiten andere resiliente Böden zu rezyklieren." Sogenannte "Legacy Additives" verhindern aktuell das Recycling im größeren Stil, weshalb sich die AgPR an allen Projekten des europäischen Verbandes ERFMI beteiligt.

Parkett: Nachhaltig gewachsen

Holz wird von der Natur produziert und bindet während des Wachstums Kohlenstoff. Damit ist der nachwachsende Rohstoff natürlich nachhaltig. In Deutschland werden laut dem Verband der Deutschen Parkettindustrie (vdp) mehr als zwei Drittel des insgesamt genutzten Holzes in den Bereichen Bauen und Wohnen verwendet. Verglichen mit anderen Bodenbelägen hat Parkett nur geringe Umweltauswirkungen und steht in seiner Ökobilanz gut da. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang vor allem die lange Nutzungsdauer von Parkettböden und die Möglichkeit, die Holzbeläge nach entsprechender Nutzung auch wieder aufbereiten zu können. Wird ein Parkettboden am Ende seines Nutzungszyklus thermisch verwertet, dient es zudem als Energieträger. "Über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg wird also bei der Herstellung von Parkett aus Echtholz weniger Energie aufgewendet als für andere Bodenbeläge", so beschreibt es der vdp. Durch die thermische Verwertung am Ende der Nutzung würden bis zu zwei Drittel der insgesamt im Lebenslauf benötigten Primärenergie wieder bereitgestellt.

Wird der Großhandel zum Recyclinghof?

Bei der dringend benötigten Infrastruktur kann und muss der Großhandel ins Spiel kommen, wie Bert Bergfeld, Geschäftsführer beim Bundesverband Großhandel Heim & Farbe (GHF) erklärt: "Der Verarbeiter wird künftig da einkaufen, wo er auch eine Entsorgungs- und Rücknahmelösung bekommt. Der Großhandel wird sich daher zwangsläufig zu einer Müllannahmestelle, beziehungsweise einem Recyclinghof entwickeln." Dies sieht Bergfeld als direktes Resultat des Green Deals, der das Thema Kreislaufwirtschaft besonders vorantreibt: "Ich bin mir sicher, dass die Rücknahmepflicht kommt. Die Frage ist nur, wann." Daher sei es für die Branche das Wichtigste, jetzt vor "die politische Welle" zu kommen.

Deshalb hat der GHF in Zusammenarbeit mit der Gruppe Lotter+Liebherr sowie der Arbeitsgemeinschaft PVC-Bodenbelag Recycling (AgPR) ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Das Projekt erforscht die mögliche neue Rolle des Großhandels, in dem die vorhandene Logistik genutzt wird, um Verlegereste und demontierte elastische Bodenbeläge in den Kreislauf zurückzuführen. "Uns geht es darum, die aktuelle Recycling-Situation auszuloten und herauszufinden, wie viel Volumen, Aufwand, Kosten bei einem Rücknahmesystem entstehen und inwiefern dies skalierbar ist", sagt Bergfeld. Die ERFMI übernimmt die Finanzierung des Projekts, welches aktuell bis ins Frühjahr 2024 läuft. "Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass das Projekt weitergeführt wird", so Bergfeld.

GHF: Kreislaufwirtschaft elastischer Beläge

Die Kreislaufwirtschaft von elastischen Bodenbelägen ist ein Thema, dem sich der Bundesverband Großhandel Heim & Farbe (GHF) verpflichtet hat. Dabei geht es um die Rückführung von Verlegeresten und elastischen Bodenbelägen mithilfe von Großhandelslogistik. Die Bilanz zum Projekt mit Lotter + Liebherr, dem europäischen Verband für elastische Bodenbeläge (ERFMI) und der AgPR ist positiv. In den letzten zehn Monaten sammelte der GHF rund um den Standort Bonn ungefähr zwanzig Tonnen Recyclingmaterial, welches in einer PVC-Recyclinganlage in Troisdorf zu PVC-Feinmahlgut verarbeitet und wieder verkauft wurde. Mit dem Feinmahlgut wurden dann PVC-Bauprodukte wie Unterlags- und Abdichtfolien für Fundamente oder den Straßenbau sowie Feuchtigkeitssperren für Ziegelmauerwerke hergestellt. Ein Netz von Sammelstellen in Deutschland und Logistiksysteme in Frankreich, Österreich und der Schweiz sowie Kooperationen mit Schweden und Großbritannien garantieren eine Annahme für die AgPR-Recyclinganlage.

Das Projekt habe auch verunreinigten Alt-Beläge im Fokus, die bisher thermisch entsorgt würden. Erstmals konnten alle elastischen Beläge eingesammelt werden. Also neben heterogenen und homogenen PVC-Produkten und LVT eben auch Kautschuk, Linoleum und – bis auf Multilayer-Produkte – Bodenbeläge aus anderen Kunststoffen. Ursprünglich sollte das Projekt Ende Juni 2023 auslaufen. Aufgrund des großen Erfolgs soll es nun bis ins Frühjahr 2024 weitergehen.

Recycling ist nicht Alles

In den Bemühungen Altbeläge und Verschnittreste zu recyceln, wird ein wichtiger Schritt im Lebenszyklus eines fertigen Produktes übersprungen. Priorität sollte es sein, verwendete Rohstoffe in einem geschlossenen Kreislauf zu halten und erst gar keinen Abfall entstehen zu lassen. So besagt es zumindest das Cradle-to-Cradle (C2C)-Prinzip, entworfen vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough.

Auf eine solche Kreislauflösung setzt unter anderem Hersteller Tarkett. Bereits seit 2011 arbeitet das Unternehmen dahin gehend mit der Environmental Protection Encouragement Agency (EPEA) zusammen. Ziel von EPEA ist es, dass C2C-Designprinzip in allen Industriebranchen zu verankern. Bei Tarkett wurden nach eigener Aussage 97 Prozent der Rohstoffe nach diesen Kriterien von unabhängigen Außenstehenden bewertet. Die C2C-Prinzipien würden auf das gesamte Produktportfolio angewandt.

Ein weiterer ökologischer Vorreiter in der Branche ist Interface. Das Unternehmen setzt mit den „Carbon Neutral Floors“ den Schwerpunkt auf den CO2-Fußabdruck. Interface etablierte 2003 die ersten CO2-neutralen Bodenbeläge in ihrem Produktsortiment. Im Jahr 2018 erfolgte die Ausweitung der „Carbon Neutral Floors“ auf das gesamte Portfolio. Nach eigenen Angaben soll Interface seit 1996 den CO2-Fußabdruck der eigenen Teppichfliesenprodukte so um 79 Prozent reduziert haben.

Green Deel und die Rolle des Handwerks

Um die Ziele des Green Deals zu erreichen, könnten die Vorgaben weiter verschärft werden. Das meint auch Tomas Cordes, Geschäftsführer von Amorim Deutschland: "Wir wollen uns rechtzeitig aufstellen und unseren Kunden Produkte bieten, die auch morgen noch den Anforderungen entsprechen. Die Generation, die sich heute aktiv für den Klimaschutz engagiert, gründet morgen eine Familie und wird komplett andere Ansprüche ans Wohnen stellen." Ein neues Produkt sollte daher von Anfang an ökologisch und wohngesund konzipiert sein.

Laut GHF-Geschäftsführer Bert Bergfeld wird auch die Verpackungsverordnung früher oder später verschärft werden. Wie das genau aussieht, darüber ließe sich nur spekulieren. "Denkbar wäre da zum Beispiel ein Pfandsystem für Baustoffeimer", überlegt Bergfeld. "Die Entscheider von morgen legen mehr Wert auf digitale und nachhaltige Prozesse. Wenn in den nächsten fünf bis acht Jahren der Generationenwechsel in unserer Branche stattfindet, können wir nicht erst dann mit den Planungen und Vorbereitungen anfangen." Geht es nach Bergfeld, sind die drei größten Herausforderungen der Zukunft: Digitalisierung, Arbeitskräftemangel und Nachhaltigkeit.

Am Ende der Wertschöpfungskette kommt das Handwerk einer ebenso wichtigen Rolle nach, um den Fußbodenbau künftig nachhaltig zu gestalten. Beginnend bei der Kundenberatung, bei der die Vorteile ökologischer Bodenbeläge gezielt zur Sprache kommen. Weitergehend über eine nachhaltige Verlegung der Beläge (beispielsweise geklebt vs. klebefrei) bis hin zu einer handwerklich fachmännischen Ausführung, welche gerade im Bestand gewährleistet, Ressourcen möglichst lange zu erhalten und auf geprüfte Systemlösungen zu setzen. Ökologisch geprüfte Produkte oder solche mit nachweislich geringem CO2-Fußabdruck zu verwenden, ist sinnvoll. Siegel und Zertifikate können eine Hilfestellung geben, sollten aber im Zweifel hinterfragt werden. Hat sich „Nachhaltigkeit“ doch längst zu einem Trendthema entwickelt, mit dem sich viel Geld verdienen lässt.