Wenn Produktmängel die Existenz bedrohen

Nach aktueller Rechtsprechung bleiben Handwerker auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen, die Hersteller zu verantworten haben. Vertreter aus Handwerk und Industrie diskutierten auf der EPF Auswege aus der Gewährleistungsfalle.

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    Diskutierten auf Einladung von bwd (v.l.n.r.): Stefan Neuberger, Michael Schmid, Thomas Allmendinger, Stefan Heinze, Dr. Marcus Dinglreiter und Michael Heide.
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    Diskutierten auf Einladung von bwd (v.l.n.r.): Stefan Neuberger, Michael Schmid, Thomas Allmendinger, Stefan Heinze, Dr. Marcus Dinglreiter und Michael Heide.

Den meisten Handwerkern ist nicht bewusst, welchen Tanz auf der Rasierklinge sie ausführen. Die Gesetzeslage ist ein skandalöser Zustand für das Handwerk“, sagt Parkett- und Estrichlegermeister Thomas Allmendinger. Hintergrund: Nach aktueller Rechtsprechung bleiben Handwerker auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen, die Lieferanten oder Hersteller zu verantworten haben. Doch damit nicht genug: Auch für die Folgekosten, die im Zusammenhang mit der Mangelbeseitigung stehen, muss der Handwerker aufkommen. Da können schnell existenzgefährdende Summen zusammenkommen.

Marcus Dinglreiter, Justiziar der Böhmler Einrichtungshaus GmbH  in München, kennt solche Fälle zur Genüge. Da wurden beispielsweise in einer Arztvilla 300 Quadratmeter Ipé-Industrielammellenparkett verlegt, das sich – Stichwort: Drehwuchs – kurze Zeit später komplett aus dem Kleberbett herausdrehte. Der Handwerksunternehmer, der den Parkettfußboden mangelfrei verlegt hatte, konnte den Produktmangel im Vorfeld nicht erkennen. Der Villenbesitzer konnte sein neues Domizil nicht fristgerecht beziehen. Der Gesamtschaden samt Anwalts- und Gutachterkosten belief sich auf ca. 50.000 Euro. Nur mit Glück kam der Parkettleger seinerzeit mit einem Vergleich aus dieser schwierigen Situation heraus. Doch wegen der seit 2008 geltenden BGH-Rechtsprechung haben die Handwerker jetzt jedoch schlechtere Karten. Da sie grundätzlich die Aus- und Wiedereinbaukosten tragen, die in der Regel etwa zwei Drittel des Gesamtschadens ausmachen, verringern sich auch die Vergleichsbeträge entsprechend.

Können aufgrund der Gewährleistungsfalle schon im Privatkundengeschäft existenzgefährdende Kosten auf den Handwerker zukommen, dreht es sich im Objektgeschäft häufig um noch größere Summen. Dinglreiter: „Wir haben in der Vorstandsetage einer bekannten Versicherung einen sehr hochwertigen Teppichboden verlegt. Sobald der Teppichboden mit normalem Leitungswasser in Berührung kam, verfärbte sich dieser grün. Das Beweisverfahren ergab: Es lag ein reiner Produktmangel vor. 1.000 Quadratmeter Teppichboden mussten komplett ausgewechselt werden. Nach der neuen Rechtsprechung hätte Böhmler diese Kosten wohl voll zu tragen.“

Schafft die GroKo den Durchbruch?

Häufig, so Dinglreiter, setze man sich in so einem Fall mit dem Hersteller an einen Tisch und kann auch eine Lösung finden. Ab bestimmten Wertgrenzen werde dies aber schlicht unmöglich. Dazu kommt:  Wenn wie im vorliegenden Fall ein langjähriger Stammkunde wegbricht, wiegt das am Ende schwerer als die anfallenden Einmalkosten.

„Es kann doch nicht sein, dass ich fehlerfrei arbeite und dann für ein Produkt hafte, das ich nicht hergestellt habe“, sagt Allmendinger. Eine Situation, die ihn zu einem undenkbaren Vergleich mit der Kfz-Branche veranlasst. „Man stelle sich vor, ein  Automobilhersteller startet wegen einer fehlerhaften Bremse eine Rückrufaktion und die Werkstätten bleiben auf den Aus- und Einbaukosten dafür  sitzen.“ Allmendinger versteht die Welt nicht mehr.

Und in der Tat ist es für den juristischen Laien nur schwer nachvollziehbar, warum scheinbar gleiche Fälle vor dem Gesetz unterschiedlich behandelt werden.

Michael Heide, Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Estrich und Belag im ZDB, ist seit Jahren mit dem Thema Haftungsrisiko bei unverschuldeten Produktmängel befasst. Er erläutert die komplexe juristische Dimension (siehe Kasten „Hintergründe“, Seite 14) und schildert dabei die unterschiedlichen Anläufe, die der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes unternommen hat, um an den Schaltstellen der Macht auf eine Gesetzesänderung im Sinne des Handwerks hinzuwirken. „Die Beseitigung der Haftungsfalle und  damit eine gesetzliche Anpassung ist endlich als Zielaufgabe im aktuellen Koalitionsvertrag der Regierung aus CDU/CSU und SPD verankert. Das ist ein Erfolg, den wir schon auf unsere Verbändeinitiative zurückführen.“

Trotz aller Hoffnung auf eine zeitnahe Änderung des Missstandes warnt Heide mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren. „Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Wir hoffen, dass diese ungerechte Haftungsverteilung durch eine gesetzliche Regelung beseitigt wird“, sagt Heide und spielt auf eine Anpassung des § 478 BGB, der die Regressansprüche des Unternehmens regelt, an. Der Referentenentwurf muss dann vom Kabinett verabschiedet werden, bevor er zur Abstimmung in den Bundestag und in den Bundesrat wandert.

Die Festschreibung der gesetzlichen Anpassung im Koalitionsvertrag ist zweifelsohne ein erster Erfolg. Ein Blick auf die Agenda der Bundesregierung lässt allerdings befürchten, dass das Thema Haftungsrisiko für Handwerker in Berlin und auch in Brüssel nicht oberste Priorität genießt. Ähnlich sieht das auch Michael Schmid, Geschäftsführer der Parkettfabrik Jakob Schmid/Söhne. „Wir können auf eine Lösung durch den Gesetzgeber hoffen, aber ganz wichtig ist es, dass der Handwerker mit seinem Lieferanten eine Vereinbarung trifft. Schmid plädiert deshalb für eine interdisziplinäre Lösung zwischen Handwerk und Industrie. Er verweist auf die „sehr weitreichende“ Betriebshaftpflichtversicherung seines Unternehmens, die auch die Produkthaftpflicht abdeckt. „Dazu gehört bei uns eine Gewährleistungspflicht von fünf Jahren und eine Deckungssumme bis  3,5 Millionen Euro, die Aus- und Einbaukosten sowie Kosten für Rechtsanwälte und Gutachter einschließt.“

Riskante Abhängigkeit vom guten Willen

Diese versicherungstechnische Lösung ändert allerdings nichts an der Abhängigkeit des Handwerkers von der Kulanz des Lieferanten. Und die kann schnell enden. Natürlich, so Schmid, sei das immer auch eine wirtschaftliche Entscheidung. Ist der Kunde ein Perspektivkunde für die nächsten Jahre? Kann ich die Kulanzsumme im Nachhinein wieder erwirtschaften?

Klar wird vor diesem Hintergrund, dass sich kleinere Handwerkbetriebe mit wenig Marktmacht schwertun werden, in den Genuss der Herstellerhaftpflicht zu gelangen. Grundsätzlich, so Pallmann-Geschäftsführer Stefan Neuberger, könne es aber nicht dauerhaft darum gehen, dass der Handwerker Hersteller abklappert und deren Versicherungsmodalitäten erfragt. „Es geht darum, die Rechtsunsicherheit zu beenden.“

Gleichwohl lässt Neuberger keinen Zweifel daran, dass ein Handwerker  momentan gut beraten ist, seinen Lieferanten auch mit Blick auf die Produkthaftpflicht unter die Lupe zu nehmen. Das mag bei einheimischen Lieferanten vergleichsweise einfach herauszufinden sein. Was aber ist mit all den asiatischen Herstellern, die in den deutschen Markt liefern?

Das Problem, so Neuberger sei, dass auch der Industrie die aktuelle Rechtslage nicht immer so bekannt ist, wie man meinen könnte. „Wir sind aber darauf angewiesen, dass der Handwerker unsere Produkte verarbeitet, also stellen wir uns hinter den Handwerker“, macht Neuberger klar. Natürlich sei es eine mögliche Strategie, zu hinterfragen, mit welchem Industriepartner man vor diesem Hintergrund zusammenarbeitet,  räumt Dinglreiter ein. Umgekehrt könne ein Handwerksbetrieb zwischenzeitlich eventuell die Aus- und Wiedereinbaukosten als sogenannten Erfüllungsschaden versichern. Die Prämien seien aber vermutlich relativ hoch und der Handwerker benötigt wohl einen guten Versicherungsmakler. Dinglreiter schätzt, dass unter anderem aus diesem Grund derzeit höchsten 15 Prozent der Handwerksunternehmer in den betroffenen Gewerken eine derartige Versicherung besitzen.

Kompromiss schließen und stillhalten?

Die Frage bleibt: Warum muss sich ein Handwerker überhaupt gegen Schäden teuer versichern, die er selbst nicht verantwortet? Aber das ist nicht die einzige Frage im Zusammenhang mit diesem Thema. Warum werden das Haftungsrisiko des Handwerkers und das Damoklesschwert der Firmenpleite nicht in breiter Öffentlichkeit diskutiert? Es spreche, so Neuberger, für den Zusammenhalt in unserer Branche, dass in den meisten Fällen diese Dinge ohne Gericht und damit nicht öffentlich geklärt werden. Im Klartext heißt das: Hersteller und Handwerker handeln im Hinterzimmer einen Kompromiss aus und vereinbaren Stillschweigen.  Stillschweigen ist aber nach Ansicht Dinglreiters genau die falsche Strategie. „Wir müssen die Öffentlichkeit, vor allem aber das Handwerk insgesamt, also auch alle Gewerke, die nicht betroffen sind, für diesen Missstand sensibilisieren. Wir müssen Öffentlichkeit von unten herstellen.“ Die Böhmler Einrichtungshaus GmbH unterstützt deshalb die Initiative „Mit einer Stimme“, die dafür eintritt, dass diese existenzielle Gefahr für viele Handwerksbetriebe zeitnah durch eine gesetzliche Regelung abgestellt wird (siehe Kasten „Jede Stimme zählt“ links). Dabei gehe es nicht darum, ein Mandat für das Handwerk neben bestehenden Mandaten aufzubauen. Es gehe vielmehr darum, mit einer „Graswurzelbewegung“ den handelnden Verbänden und Organisationen in ihren Bemühungen den Rücken zu stärken. „Wir wollen uns hinter unsere Verbände stellen,“ sagt Dinglreiter.

„Wir werden als Einflussfaktor nur wahrgenommen, wenn wir mit einer Stimme sprechen“, ist sich auch Michael Heide sicher. Man müsse, so der Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Estrich und Belag im ZDB, über das Fußbodengewerk hinaus  in einem großen Rahmen denken. „Ich kann nur an die Verbände appellieren, Initiativen abgestimmt vorzunehmen.“