Kiesel Bauchemie: Das Familienunternehmen hat mit neuer Führungsstruktur die Weichen für weiteres Wachstum gestellt Schwäbische Tugenden hochhalten

Innovation, Service und Kundennähe haben die Kiesel Bauchemie in der knapp 60-jährigen Firmengeschichte zu einem der bedeutendsten Anbieter von Verlegewerkstoffen gemacht. Auch die künftige Wachstumsstrategie fußt auf diesen Tugenden.

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    Marcus Lippert ist die Person hinter der Wachstumsoffensive im Bereich Fußbodentechnik.
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    Gaben bei einem Besuch in der Redation boden wand decke einen Ausblick auf die künftigen Ziele der Kiesel Bauchemie. (v.r.): Wolfgang Kiesel, Beatrice Kiesel-Luik, Marcus Lippert. Links im Bild: bwd-Chefredakteur Stefan Heinze.

Man merkt Wolfgang Kiesel an, dass er stolz darauf ist, die Unternehmensnachfolge aus der Reihe der eigenen Familie gesichert zu wissen. Seit 1. Dezember 2014 ist seine Tochter Beatrice Kiesel-­Luik Mitglied der Geschäftsführung, wo sie den Geschäftsbereich Marketing und Vertrieb verantwortet. „Das ist ein ungeheurer Vorteil“, sagt Kiesel, denn häufig sei ja kein Nachfolger da. Kiesel sieht sich künftig mehr in der beratenden Funktion, sobald seine Tochter vollständig die operative Leitung im Rahmen der Nachfolge übernommen hat. Doch mit dem ganz loslassen ist das bei einem  Familienunternehmer so eine Sache. „Ich bin Hauptgesellschafter und daraus leite ich schon den Anspruch ab, weiter mitzuentscheiden“, sagt Kiesel, um jedoch sogleich zu beteuern: „Ich würde geordnete Verhältnisse hinterlassen, wenn ich mich jetzt ganz zurückziehen würde.“

Kiesels beruhigende Einschätzung fußt zum einen auf der getroffenen Entscheidung, die beiden Geschäftsbereiche „Fliese“ und „Fußbodentechnik“ künftig jeweils getrennt voneinander eigenen Branchenverantwortlichen zu unterstellen. „Wir können nur wachsen, wenn wir mehr Manpower haben. Das war ein entscheidender Grund, die Geschäftsfelder zu trennen“, sagt Beatrice Kiesel-Luik. Klar ist aber auch: Der Bodenbelagmarkt und der Fliesenmarkt unterscheiden sich nicht zuletzt mit Blick auf die Distribution, hier der Bodenbelaggroßhandel, dort der Bausstoffhandel, fundamental.

Zum anderen begründet Kiesel sein gut bestelltes Feld mit der Besetztung eben jener Branchenleitung „Fußbodentechnik“, die seit November 2015 Marcus Lippert verantwortet. Als Branchenverantwortlicher obliegt Lippert in diesem Produktsegment auch die Verkaufsleitung für Süd- und Westdeutschland sowie Österreich. Uwe Sauter, der bis zum Eintritt von Lippert die Fußbodentechnik in Personalunion mitbetreute, konzentriert sich in Zukunft auf seine Aufgabe als Branchenverantwortlicher für die Fliesentechnik.

Lippert ist in der Branche kein unbekannter. Der hochgewachsene Vertriebsprofi hat das Geschäft mit Verlegewerkstoffen von der Pike auf gelernt und weiß aus Stationen seiner nahezu dreißigjährigen beruflichen Karriere, wie inhabergeführte schwäbische Familienunternehmen ticken. Und Lippert weiß um die kreativen Gestaltungsmöglichkeiten, die ein Mittelständler im Gegensatz zu einem großen Konzern bieten.

Gesucht und gefunden

Eine klassische Win-win-Situation hat sich da offenbar ergeben. „ Marcus Lippert verfügt über eine große Branchenkenntnis und ist exzellent vernetzt. Es ist schön, wenn man so jemanden dazugewinnen kann“, sagt Kiesel und räumt ein, dass er sich mit der Besetzung der Verkaufsleitung Fußboden nicht leicht getan hat. Wohl auch deshalb, weil er in der Vergangenheit selbst stark in den Verkauf involviert war. Da hing die Latte hoch. Vor allem aber auch, weil die Wachstumsambitionen, die man sich in Esslingen auf die Fahnen geschrieben hat, für diese strategische Position einen Macher verlangen. Weiter Wachstum generieren vor allem auch im gesättigten deutschen Markt und hierfür die Trümpfe des mittelständischen Familienunternehmens mehr als bisher ausspielen, so könnte man Lipperts Job mit wenigen Worten beschreiben.

„Wir sind in vielen Bereichen Vorreiter, aber das wissen zu wenige“, sagt Kiesel-Luik. „Das müssen wir änden.“ In der Tat steckt in den Produktinnovationen, die Kiesel im Laufe seiner 57-jährigen Firmengeschichte immer wieder auf den Markt gebracht hat, viel von jenem sprichwörtlichen Tüftler- und Erfindergeist, der gerade schwäbischen Unternehmen nachgesagt wird.

Aufsehen erregte seinerzeit beispielsweise die Einführung der Produktlinie „Okatmos“. Dahinter verbirgt sich eine patentierte, hygienisierende Eigenschaft der Verlegewerkstoffe (Patent 198 18 115). Das Okatmos-Verlegesystem greift auf anorganische und für den Menschen ungiftige Wirkstoffe zurück, die in der Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie erprobt sind und einen dauerhaften Schutz vor dem Wachstum von Bakterien und Schimmelpilzen gewährleisten. „Durch diesen Fortschritt haben wir es geschafft, die Luft in Wohnräumen nicht zu be­lasten und damit die Lebensqualität der Nutzer deutlich zu ­ver­bessern“, sagt Kiesel. Bauherren erhielten somit die Sicherheit vor Geruchsreklamationen und eventuellen Mietminderungen und dadurch die Absicherung ihrer Rendite.

Weitere Meilensteine

Einen Meilenstein stellt für Kiesel auch die Einführung der ServoArt-Produkte dar. Zunächst stand dabei mit ServoArt eine kreative Wandspachtelmasse im Vordergrund. Dies sei das erste Produkt gewesen, welches dem Verarbeiter die Möglichkeit bot, direkt die Oberfläche von Objekten zu gestalten. Erweitert wurde das ServoArt-Programm im Jahr 2009 durch die Einführung von ServoArt CeFlo. Mit diesem neuen Trendboden kann man fugenlose und individuelle Gestaltungskonzepte realisieren.

Das aktuell augenfälligste Ergebnis der Esslinger Innovationsschmiede stellt Okalift SuperChange dar. Die Vision, vollflächig verklebte Bodenbeläge ohne den bisher üblichen großen Aufwand austauschen zu können, stand Pate für das Wiederaufnahmesystem von Kiesel. Es basiert auf einem High-Tec-Gewebe, dank dessen Einsatz der Sanierungsprofi eine Fläche von bis zu 60 Quadratmeter Fläche pro Stunde schaffen kann.

Lösungen wie Okalift SuperChance sind sicher nicht die großen Umsatzbringer, aber sie unterstreichen den Anspruch der Schwaben, im Bereich Fußbodentechnik Innovationsführer zu sein.

Fest steht: In Zeiten, in denen die Massenprodukte des täglichen Gebrauchs zunehmend austauschbar geworden sind, können deartige Nischenprodukte mit Zusatznutzen das Profil schärfen. Nach dem Motto „Hier spart ihr Zeit, Geld und Energie“ kann sich aber auch der Handwerker mit innovativen Nischenprodukten profilieren. Lippert räumt ein, dass der Verkauf dieser Nischenprodukte im Handwerksalltag schwierig ist. „Wenn ein Boden- oder Parkettleger pro Woche zehn Leistungsverzeichnisse ausfüllen muss, kann er nicht jedesmal nachtelefonieren und beraten. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir diese Produkte in Zukunft besser vermarkten, um unseren Kunden die Chance zu geben, sich damit vom Wettbewerb abzusetzen.“

Die Vermarktungsgedanken schließen dabei auch die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters ein. „Wir forcieren die Digitalisierung bis hin zum Endkunden“, sagt Beatrice Kiesel-Luik und verweist dabei auf die bereits online verfügbaren Produktvideos und Verlegefilme, die den Nutzen der Kiesel-Lösungen informativ und zeitgemäß rüberbringen.

Zu den Trümpfen, die Kiesel in Zukunft noch mehr als bisher ausspielen will zählt der Kundenservice. „Wir nehmen viel Geld in die Hand, um unser Dienstleistungsspektrum noch weiter auszubauen“, sagt Lippert. So wolle man einen zusätzlichen technischen Kundendienst etablieren, der Kiesel-Kunden auf der Baustelle unterstützt, beispielsweise wenn es darum geht, Spachtelmassen oder Dünn­estri­che einzubringen. Bereits jetzt bietet Kiesel in Kooperation mit der Firma m-tec einen Pumpservice an. Künftig wolle man, so Kiesel-Luik, diesen effizienten Service unter der eigenen Marke und mit eigenen qualifizierten Fachkräften anbieten. Damit könne man flexibler auf Kundenwünsche reagieren. Es sei wichtig, dass die Technik, die vor Ort eingesetzt wird, von eimem Spezialisten bedient wird, sagt Lippert. Weil dem Handwerker im Umgang mit Pumpmaschinen häufig die Routine fehlt, läuft er Gefahr, beim kleinsten Fehler allein dazustehen. „Wir liefern das fertig gemischte Material zum Schlauchende und sehen für diese Dienstleistung insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel eine großes Potenzial.“ Dabei soll sich der Kiesel-Servicetechniker nicht nur als „Maschinist“ betätigen, sondern darüber hinaus beispielsweise bei der Estrichabnahme oder bei der CM-Messung helfen.

Noch mehr Service

Das Ziel, den Kunden künftig noch intensiver zu beraten, geht einher mit der Notwendigkeit, die Anwendungstechnik und den technischen Außendienst personell aufzustocken. „Wir werden dabei keinen schnellen Rundumschlag veranstalten, sonden unsere Mannschaft in den nächsten Jahren gesund aufbauen“, sagt Lippert. „Wir haben ein kompetentes junges Team gerade im Bodenbereich“, sagt Lippert und verweist dabei auf die Chance, den eigenen Nachwuch selbst zu qualifizieren, um so die Kompetenz sicherzustellen. Das gelte, so Lippert, übrigens auch für den Verkauf. Vertrieblich setzt Kiesel im Segment Fußbodentechnik auch in Zukunft stark auf den Handel. „Wer mich kennt weiß, dass ich wo immer möglich für Handels­treue stehe“, sagt Lippert. Die Konsolidierung im deutschen Großhandel bereitet den Verantwortlichen in Esslingen kein Kopfzerbrechen. „Klar stellt sich mittelfristig bei Übernahmen immer die Frage, wird man auch weiterhin dazugehören oder nicht“, räumt Lippert ein. Schlussendlich könne man hier aber nicht abwarten, sondern muss seinen eigenen Weg definieren, um Umsätze auszubauen. Der Blick schweift hier auch hin zu den kleineren, regional etablierten Großhandelshäusern. Denen prognostiziert Wolfgang Kiesel allen Konsolidierungstendenzen zum Trotz eine gute Zukunft. „In unserer Marktwirtschaft wird es nicht so sein, dass wenige Große die Geschäfte übernehmen“, ist sich Kiesel sicher. Und fast hat es den Anschein, als denke der scheidende Firmenchef in diesem Augenblick auch an den Fortbestand seines eigenen Unternehmens. „Wir ticken gleich und unser Geschäft basiert auf den gleichen Prinzipien: Verlässlichkeit, Innovation, Service und Mitarbeiternähe.“ Trümpfe, die für die Kiesel Bauchemie auch in Zukunft stechen werden. Zumal der Chef sein Unternehmen auch nach dem engültigen Rückzug in guten Händen weiß. „Man will ja keinen Schlamassel hinterlassen.“