Entwarnung nicht in Sicht Existenzielle Gewährleistungsfalle bei Produktmängeln 

Nach einem BGH-Urteil vom Herbst 2012 trägt der Handwerker nun wieder die Aus- und Wiedereinbaukosten. Der Bundesverband Estrich und Belag, der Zentralverband Parkett und Fußbodentechnik sowie führende Objekteursverbundgruppen suchen im Dialog mit der Industrie nach einer Lösung des Problems.

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    Jürgen Klingel, Geschäftsführer „Die Objekteure Objektgesellschaft“, Rechtsanwalt Dr. Marcus Dinglreiter, Michael Scharnbacher, Beirat Objekteure im Forum, Gert F. Hausmann (ZVPF), Thomas Böhmler, Beirat Decor-Union und BEB-Vorsitzender Heinz Schmitt (v.l.) wollen im Dialog mit der Industrie das bodenlegende Handwerk absichern.

Eigentlich hätte das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Juli 2008 bei den bodenlegenden Handwerkern von Flensburg bis Garmisch für einen Aufschrei sorgen müssen. Durch die Rechtsprechung sind die Handwerksbetriebe in Deutschland nämlich bis heute einer existenziellen Gefährdung ausgesetzt. Das BGH-Urteil besagt, dass der Verkäufer von Baustoffen im Rahmen seiner gesetzlichen Nacherfüllungspflicht lediglich die Lieferung des Ersatzmaterials schuldet. Die Aus- und Wiedereinbaukosten sind aber künftig vom Handwerker zu tragen.

Im Klartext heißt das: Ein Objekteur erhält zwar eine kostenlose Ersatzlieferung für den mangelhaften Designbelag. Die unter Umständen hunderte von Quadratmeter umfassende Neuverlegung in einem Kaufhaus beispielsweise geht aber auf seine Kosten. Zusammen mit den Regressforderungen, die dem Bodenleger für Umsatzausfall etc. in Rechnung gestellt werden können, kommen da schnell exorbitante Beträge zusammen, die am Ende die Existenz gefährden.

Die Rechnung bezahlt der Bodenleger

Falls Inhaber von Kleinbetrieben nun denken, das ginge sie nichts an, irren sie. Ein Beispiel: Bei ­einem prominenten Villenbesitzer muss das mangelhafte Parkett ausgetauscht werden. Der Auftraggeber zieht derweil mit ­Familie in ein Fünf-Sterne-Hotel. Die Rechnung dafür präsentiert er dem Parkettleger. Ein paar zentausend Euro Zusatzkosten können für einen Kleinbetrieb ­jedoch den sicheren Ruin bedeuten.

Ein Grund, warum die Gesetzesänderung nicht zu öffentlichkeitswirksamen Protesten geführt hat, mag sein, dass sich die Hersteller von Bodenbelägen und Verlegewerkstoffen in den meisten Fällen kulant gezeigt haben. Aber die Kulanz hat schnell eine Grenze, wenn es um eine Million Euro geht. Und: Die Gewährleistungsproblematik hängt am Ende immer vom Goodwill einzelner Personen ab. Es bleibt die Tatsache, dass der bodenlegende Handwerker ohne jegliches Verschulden in eine dramatische Risikosituation geraten kann, weil das, was die Industrie bisher über ihre Produkt­haftungsversicherung abdecken konnte, in vollem Umfang der Aus- und Wiedereinbaukosten auf das Handwerk abgewälzt wurde.

Von Beginn an der Tragweite der BGH-Entscheidung bewusst waren sich die Verbundgruppen Objekteure im Forum (heute Netzwerk Boden), die Objekteure Objektgesellschaft, die Decor-Union und der Bundesverband Estrich und Belag (BEB). Gemeinsam riefen sie eine informelle Dialogplattform für die das Handwerk repräsentierenden Institutionen ins Leben. „Wir wollten gleichzeitig aber auch eine Projektebene zur Lösung wichtiger und drängender Einzelprobleme des bodenlegenden Handwerkers schaffen, die man nur übergreifend lösen kann“, erinnert sich Rechtsanwalt Dr. Marcus Dinglreiter, Initiator und Mentor der Initiative mit dem Namen Gx. Angesichts der Brisanz der BGH-Entscheidung traten weitere Punkte wie beispielsweise die Synchronisation von Gewährleistungsansprüchen in der Gx-Runde erst einmal in den Hintergrund.

Einvernehmliche Lösung des Problems

Im Frühjahr 2009 schloss sich der Zentralverband Parkett und Fußbodentechnik (ZVPF) der Handwerkerinteressengemeinschaft an. Damit kam man dem Ziel, ein möglichst breites Bündnis zur Lösung anstehender, das Handwerk betreffender Probleme zu schaffen ein weiteres Stück näher.

„Von Beginn an war allen Beteiligten klar, dass es nur eine Lösung im Dialog mit der Industrie geben kann“, sagt Dinglreiter. Einig war man sich auch, erst einmal im Stillen den Dialog aufzunehmen und nicht groß an die Öffentlichkeit zu gehen. In regelmäßigen Treffen versuchten die Beteiligten, eine tragfähige Lösung zu schaffen. Könnte etwa eine Industrieversicherung oder eine Gewährleistungsbetätigung seitens der Industrie die Risikolücke des Handwerks schließen? Können eventuell bestehende Handwerkerversicherungen um eine Zusatzversicherung ergänzt werden.

Die Risikolücke für den Handwerker bleibt

Mitten in die Überlegungen platzte am 16. Juni 2011 ein Urteil der Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das die europarechtlichen Vorgaben für die Behandlung von Aus- und Einbaukosten bei der kaufrechtlichen Nacherfüllung vermeintlich zu Gunsten des Handwerks klärt. Doch man hatte sich zu früh gefreut. Der EuGH hatte lediglich aufgrund seiner Verbraucherschutzzuständigkeit entschieden. Geregelt wurden nur die Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Endverbraucher. Das Urteil ist nicht auf den Handelskauf zwischen Handwerker und Industrielieferant bzw. Handwerker und Großhändler anwendbar. Exakt dies hat der BGH in einem weiteren Urteil vom 17.10.2012 klargestellt (VII ZR 226/11). Was nun?

Einstweilen vertröstet die Justiz mit dem Verweis auf eine Neuregelung des § 439 BGB. Doch das kann dauern. Und selbst dann ist nicht klar, wie die Sache für das Handwerk ausgeht. Eine im Dialog mit der Industrie angestrebte Lösung bleibt deshalb auch für 2013 das Ziel. Bis dahin bleibt die Risikolücke für den bodenlegenden Handwerker erst einmal bestehen. „Der Handwerker ist immer noch der Dumme, er hat die geringsten Margen und trägt objektiv das größte Risiko“, sagt Dinglreiter. Die Frage ist, ob er sich dessen bewusst ist.

Stefan Heinze

stefan.heinze@holzmann-medien.de