Forschung Zeitbezüge und emotionale Wirkung Wandel bringt Farbe in unser Leben

Schrumpfende Bevölkerung, stagnierende Wirtschaft, politische Kräfteverschiebungen und erhöhte Mobilität: Prof. Markus Schlegel von der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst sagt, wie sich geänderte Rahmenbedingungen auf die Farbvorlieben auswirken. Interessant wird es dann, wenn zum Beispiel aus Verunsicherung neue Farbtendenzen entstehen.Die Studie des International Institute Trendscouting zeigt, wie Farbe in bestimmten Zyklen Design und Interiorgestaltung beeinflusst.Wandel bringt Farbe in unser Leben Auch Neugierde spiegelt sich irgendwann in entsprechenden Forderungen an eine Raumanmutung wider. Dabei sind Exotik und Erinnerungen an die weite Welt, an schöne und erholsame Stunden, an Sonne, Urlaub sowie Wellness immer wichtigere Einflussfaktoren. Ein ganz anderes Raumambiente fordern Sehnsüchte nach Weltstädten, wie Shanghai, New York oder Rio. Die Gestaltung von Räumen richtet sich nach unterschiedlichen Parametern. Immer unterliegt sie dem übergeordneten Thema, das mental oder emotional geprägt ist. Werden Räume als kühl oder warmtonig bezeichnet, wird die Gefühlsebene angesprochen. Bezieht man sich etwa auf Design oder Landhaus, wird ein rationales Thema herangezogen. Die Gestaltung variiert von sachlich reduziert bis hin zu barock, dekorativ oder verspielt. Details, Accessoires und die Farbigkeit erzeugen dabei Zeitgeist oder Zeitlosigkeit. Die Informations- und Dienstleistungsgesellschaft ist, laut Studie Office 21 des Fraunhofer-Institutes, weiter auf dem Vormarsch. Nur 32 Prozent der Erwerbstätigen befanden sich 1999 noch am eigenen Arbeitsplatz. Physische und virtuelle Realität verschmelzen miteinander, die Technik verliert an Objektcharakter. Neue, virtuelle Welten Gleichzeitig sind aber Behaglichkeit, Wohnlichkeit und Gesundheit unumgängliche Gestaltungsparameter zukünftiger Wohn- sowie Arbeitswelten. Die bewusste Gestaltgebung von Wohnwelten rückt in den Mittelpunkt der Lebensgestaltung. Wohnwelten können Schaltstellen der Lebensorganisation sein, in denen Beruf, Kommunikation, Familie, Freizeit, Regeneration sowie Fitness organisiert werden. Die Verschmelzung von Wohnen und Arbeiten verbunden mit gesellschaftlichen beziehungsweise weltpolitischen Rahmenbedingungen flankieren Entwicklungen, die mit Begriffen, wie etwa Home-Office, Wellness und Fitness, Home & Care, bezeichnet werden. Diese Entwicklungen zu analysieren sowie auszuwerten, ist Aufgabe von Trendscouting. Dabei gehen Farb- und Materialzyklen aus Trends oder Gestaltgebungen mit starken Zeitbezügen hervor, setzen sich innerhalb der einzelnen Phasen aus einem Farbspektrum sowie verschiedenen Oberflächen, Strukturen und Formsprachen zusammen. Jeder Zyklus besteht aus unterschiedlichen Gestaltphasen, da mehrere Designrichtungen, verschieden intensiv ausgeprägt, parallel auftreten. Die Laufzeit einer Phase oder eines Zyklus’ ist themenabhängig. Farb- sowie Materialzyklen dokumentieren Entwicklungen vergangener Trends. So sollen Rückschlüsse auf zukünftige Entwicklungen gezogen werden. Funktion, Form, Farbe und Material von Interiorprodukten oder ganzer Interiorwelten haben sich während der zurückliegenden 50 Jahre sehr rasant entwickelt; getrieben durch technische sowie gesellschaftliche Entwicklungen beziehungsweise Bedürfnisse. Das Verstehen der Vergangenheit und die ständige Dokumentation des gesamten Materials zu unterschiedlichen Themen ist wesentlicher Teil dieser Trendforschung. Das Verstehen der Vergangenheit heißt im Sinne der Kunst- sowie Kulturgeschichte, ganze Stil- und Gesellschaftsepochen zu prüfen und zu analysieren. Die Szene beobachten In der Studie des Institute International Trendscouting (IIT) waren 5.000 Bilddaten zum Thema Interiorgestaltung/Produkt/Raum von 1955 bis 2005 über Printmedien dokumentiert sowie ausgewertet worden. Und das Resultat zeigt nicht nur den Wechsel von Bunt- zu Verhüllungsphasen; es bekräftigt auch das Auftreten von typischen, immer wiederkehrenden Farbkombinationen während der vergangenen 50 Jahre. Ebenso weist die Studie den Einfluss ethnologischer Form- sowie Farbelemente zu einem bestimmten Zeitpunkt des Zyklus’ nach und die daraus resultierende Beeinflussung des Designs und der Interiorgestaltung. Als Mittel der Gestaltung – das impliziert Farbe – sind Ornamente in bestimmten Phasen abzulesen. Die dekorativen Phasen bedienen sich dabei exotischer Farb-, Ornament- und Formsprachen. Diese Dokumentation der Zyklen ist ein wesentliches Fundament von Trend- beziehungsweise Farbforschung. Aufbauend auf diese Arbeit sind Scouting, das Beobachten unterschiedlicher Zielgruppen, Fachdisziplinen und der „Szene“, sowie eine Auswertung der Daten entscheidend für solide Standortbestimmung oder Zukunftsprognosen. Die Daten und Bilder werden auf Tendenzen, Strukturen, Materialien sowie Farben geprüft und analysiert. Projektspezifisch werden aus der Informationsfülle Einzelthemen destilliert. So werden charakteristische Paralleltendenzen erkannt, sortiert und abgebildet sowie feinste Typologien erfasst. Um vergleichbare Phänomene zu erkennen, wird der gesamte sortierte Datenbestand mit Material- und Farbzyklen der vergangenen 50 bis 100 Jahre abgeglichen. Zu diesen Informationen müssen für eine Zukunftsprognose produktkulturelle Prägungen der jeweiligen Regionen mit einfließen. Die projektspezifisch gefilterten Fakten und Daten werden zu neuen Farb-Oberflächen-Szenographien gebündelt. Das Institut erarbeitet ein Szenario, zum Beispiel eine Prognose für den Bereich Home & Care. So transformieren viele für aktuelle Strömungen empfängliche Menschen ihre Welt und ihre Produkte in persönliche Wünsche sowie Stile. Und die definieren sich laufend neu. Ziel der Trendprognosen, die auftragsbezogen etwa eine Kollektion für Interior-Surfaces ergeben, ist es, ein Spektrum von Koloraturen oder Farb-Oberflächentypologien zu erarbeiten, die auf sich abzeichnende Veränderungen von Wahrnehmungen in der Gesellschaft eingehen. Da die Taktzahl der Veränderung und Wandlung ständig steigt und die Spaßgesellschaft die Schnelllebigkeit beschleunigt, sind Zeit und Langsamkeit für viele Menschen zum Luxusgut geworden. Viele sehen Langsamkeit und Innehalten, Gesundheit sowie bewusstes Leben als die Werte der Zukunft an. Dazu soll das richtige Umfeld beitragen, das mit tradierten Parametern der Raumgestaltung oder mit daran orientierten Form-, Farb- und Materialanmutungen erzielt wird. Auch Begriffe wie Wertigkeit und Emotionalität kennzeichnen eine Tendenz gegen die künstlich-synthetische Speed-Gesellschaft. Edle Werkstoffe, hochwertige, klassisch elegante Materialien treten durch Zeitlosigkeit der Schnelllebigkeit entgegen. Plötzlich sehen Oberflächenstrukturen eher nach Handarbeit als industriell perfekt aus – „Natural Beauty“ statt „Industrial Design“ lautet die Devise. Goethe und die Ägypter Die emotionale Wirkung von Farben auf den Menschen war früh bekannt. So bauten die Ägypter Tempel, in denen sieben Räume waren – jeder in einer der Farben des Regenbogens gestaltet. Priester heilten in den Räumen Krankheiten durch Farbenergie. Während Priester, Heiler und Magier des Altertums ihr Wissen um die Anwendung der einzelnen Farben intuitiv erfassten, wurden die unterschiedlichen Wirkungsweisen von der Wissenschaft viel später untersucht und belegt. Goethe zeichnete den Weg vor, er kategorisierte Farbnuancen nach ihrer psychologischen Wirkung. Er unterteilte Farben in „Plus-Seite“ (Gelb, Gelbrot, Rotgelb) und „Minus-Seite“ (Blau, Rotblau sowie Blaurot) – die Plus-Seite versah er mit Attributen wie „regsam, lebhaft, strebend“, die Minus-Seite mit Charakterisierungen wie „sehnend, weich, unruhig“. Grün als ausgewogene Mischung von Blau und Gelb bildet den Ruhepol. Längst ist Goethes These bestätigt, dass von den genannten Farbgruppen ganz verschiedene Erregungen ausgehen. Prinzipiell wird durch die Wahrnehmung zu der Umgebung eine Beziehung hergestellt. Farbe kann auch auf den Nutzwert und die Funktion eines Objekts verweisen, indem sie Auskunft über dessen visuelle Wertigkeit (Signalwirkung), den Zustand (heiß, kalt) oder die materiellen Eigenschaften (Holz, Stein oder Metall) gibt. Farbe kann ein willkürliches Symbol werden; so steht etwaGelb für die Post. Damit ist Farbe auch ein Teil eines komplexen Kommunikationssystems. Sie vermittelt uns in einem Kontext Informationen. Je nach mentaler Disposition, Erfahrungshintergrund und Wahrnehmungsfähigkeit eines Betrachters werden diese unterschiedlich gewertet. Allerdings lassen sich übergeordnete emotionale Wirkungen und Wertungen von Farbnuancen auf den Betrachter nachweisen. Eine Studie des IIT der Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) belegte dies im April 2006. Es wurde untersucht, welche emotionale Wirkung 50 Farbnuancen oder Koloraturen auf einer sechs Quadratmeter großen Fläche hervorrufen. Die Ergebnisse dieser Studie erlauben es uns nun, die emotionale Wirkung von Farben mit ästhetischen und zeitorientierten Farbrecherchen der Farbforschung zu kombinieren. Dadurch lassen sich für das Spannungsfeld Farbe zwischen Funktion, Status sowie Ästhetik zielorientierte Koloraturen für Interiordesign und vor allem für die besonders sensiblen Gestaltungsansprüche in den Bereichen Health & Care und Home & Care entwickeln. Mit derSelf-Assessment-Manikin-Methode, einem sprachfreien Beurteilungsverfahren, wurden die gezeigten Farbkoloraturen den wichtigsten Emotional-Dimensionen – Dominanz, Erregung und Valenz/Lust – zugeordnet.K