24-Stunden-Reportage Bundesinnungsmeister Georg Mayrhofer alias „Wiesnschurli“ Paradies auf bayerischem Boden

Im wahren Leben ist Georg Mayrhofer Chef der österreichischen Bodenleger, erfolgreicher Unternehmer, dreifacher Meister und Familienvater. Bis auf zwei Wochen im Jahr: Dann mischt er in Lederhose und Haferlschuhen als „österreichischer Stachel im bayerischen Fleisch“ das Münchener Oktoberfest auf.Keine Wiesn ohne Wiesnschurli: Im Weinzelt heizt er beim „Fliegerlied“ traditionell das Publikum an.Paradies auf bayerischem Boden Der Wiesnschurli erträgt viel, aber eines duldet er nicht: Wenn man ihn siezt. „Des is scho der erste Fölla“, antwortet der Mayrhofer Georg auf die erste Frage im bwd -Video-Interview. „Du hast ned du g’sagt, da fangen wir gleich noch mal von vorn an.“ Ansonsten kann dem Mann, den alle nur Wiesnschurli nennen, so leicht nichts die Laune verderben. Jedenfalls nicht die nächsten 16 Tage. Wiesnzeit ist Wiesnschurlizeit. Unterm Jahr ist der Tausendsassa Georg Mayrhofer gefragter Unternehmer und Sachverständiger. Seit 25 Jahren leitet er zusammen mit seinem Bruder Thomas den Bodenlegerbetrieb Deta im niederösterreichischen Weidling, den er von seinem Vater stillgelegt übernahm und von null aufgebaut hat. Das Telefon steht in seinem Betrieb selten still - 20 Aufträge erhält sein neunköpfiges Team im Schnitt pro Monat. Die kaiserliche Hofburg in Wien, das barocke Stift der Augustiner in Klosterneuburg, die Nationalbibliothek - die Referenzliste liest sich wie ein Reiseführer zu den schönsten Plätzen Österreichs. Neben seiner Frau und seinen beiden Kindern dreht sich bei Georg Mayrhofer alles um die Arbeit: Bodenlegen, Schadensfälle beurteilen, Meisterschüler unterrichten - Zeit für Privates bleibt da kaum. Bis auf zwei Wochen im Jahr. Dann legt er Ziehklinge und Kelle weg und übergibt die Geschäfte an seinen Bruder. Erste Liebe mit 19 Zu Hause in Klosterneuburg packt er seinen Koffer, in den jedes Jahr die gleichen Dinge wandern: zehn Lederhosen. Einen Packen Pfoadln, die Trachtenhemden, von denen seine Frau Claudia ein jedes selbst bestickt hat: mit dem Emblem „Wiesnschurli“ und einem Countdown für jeden noch verbleibenden Wiesntag. Hinzu kommen Sachertorte und Champagner als Geschenke für die Bedienungen, die seit zwei Jahrzehnten aufpassen, dass er auf der Wiesn nicht verdurstet. Dann schlüpft Georg Mayrhofer in die Haferlschuhe, die er sich für das größte Volksfest der Welt extra hat anfertigen lassen: der eine Schuh rot-weiß wie die österreichische Fahne, der andere in weiß-blauem Rautenmuster. Völkerverständigung auf Schurliart. Als Bub mit 19 Jahren hat der Wiesnschurli zum ersten Mal den bajuwarischen Festzeltboden betreten - und sich seither geschworen, jedes Jahr wiederzukommen. Wer ihn von der schicksalhaften Begegnung erzählen hört, glaubt wieder an sie, die Liebe auf den ersten Blick: „Ich hab a Gaanslhaut am ganzen Körper bekommen“, wienert er in weichem Schmäh, „da hab ich gespürt, des is genau meins.“ Und setzt hinzu: „I waas ned, wie’s im Paradies ausschaut. Aber ich hab gewusst: Weit bin ich nicht mehr weg davon.“ Schlag zwölf im Augustinerzelt: Ein Mann im Janker wischt sich den Bierschaum vom Schnauzer, drei junge Mädels in Stiletos und Dirndl reißen sich eine Rießenbreze als Grundlage zum Gerstensaft. Zierliche Bedienungen mit jeweils fünf Maß in jeder Hand ziehen schmale Schleusen durch die Gänge. Eigenen Tisch dabei Schurlis Wiesntag startet traditionell in der Maibaumräuberbox. Hier steht sein eigener Tisch, ein Geschenk von Freunden, darauf eingelegt die Wappen seiner österreichischen Heimatstadt Klosterneuburg und der zweiten Heimat Bayern. Die Rita, die seit jeher im Augustiner bedient, serviert ihm gleich die erste Maß und fängt sich dafür ein Bussal links und rechts ein. Keine Viertelstunde vergeht und der Schurli ist von Anhängern umringt. Der „Fanclub“ besteht heute unter anderem aus dem Chefredakteur eines österreichischen Fernsehsenders, dem Landesinnungsmeister Sebastian Gitterle und einer Runde Bodenlegerkollegen mit Ehefrauen. Es wird getratscht, gebusselt, getrunken, bis Schurli das Kommando gibt: „Freunde, haltet’s euch bereit, in einer halben Stunde geht’s weiter in die Ochsenbraterei.“ Wer Georg Mayrhofer in seinem „Noch 9 Tage Wiesn“-Hemd, der handgemachten Lederhosen und dem breitem Lausbubgrinsen auf dem Oktoberfest trifft, lernt nur eine Seite des 46-Jährigen kennen. Mit der gleichen Begeisterung, mit der er 16 Tage konsequent durchfeiert, engagiert er sich zu Hause für das Ansehen und Weiterkommen seiner Branche. Seit 20 Jahren setzt sich der Bodenleger für die Aus- und Weiterbildung in seinem Handwerk ein - erst als Landesinnungsmeister, nun als Bundesinnungsmeister. In seinem Amt kämpft er für qualitative Arbeit und plant, ein Gütesiegel für Meisterbetriebe einzuführen. Junge Handwerksgesellen begleitet er auf dem Weg zu ihrem Meistertitel. Außerdem ist er gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger. Und als wäre das noch nicht genug, hat Georg Mayrhofer nicht nur einen, sondern gleich drei Meistertitel: im Bodenlegen, im Reinigen von Denkmalen, Gebäuden und Fassaden reinigen sowie Bekämpfen von Schädlingen. Da stellt sich schon die Frage: Wie macht der das? „Alles eine Sache der Organisation und Zeiteinteilung“, wiegelt Georg Mayrhofer ab. „Was ich mache, mache ich gern. Ich lieb’s, in eine Baustelle reinzukommen und aus einem fertigen Haus rauszugehen. In unserer Branche kann man noch was bewegen - das freut mich einfach.“ Seine Begeisterung trägt Georg Mayrhofer auch zu den Kunden, die er persönlich von der Beratung bis zur Übergabe betreut. Seiner Kundschaft, die im Privatbereich zu 90 Prozent weiblich ist, schickt er drei bis sechs Monate nach Übergabe eine handgemachte Konditortorte zu. Mit Zuckerguss steht darauf geschrieben: „Vielen Dank für Ihren Auftrag.“ Die Frauen laden dann meistens gleich ein paar Freundinnen zum Kaffee ein und erzählen die Geschichte mit Begeisterung weiter. Und Georg Mayrhofer spart sich so eine Menge Geld für Werbung. Schurlis zwei Seiten Zurück im Augustiner. Gut 20 Männer und Frauen verlassen mit dem Wiesnschurli das Zelt. Zielsicher leitet er den Tross vorbei an Ständen mit Lebkuchenherzen und Bratwürsten, einem Gespann von Brauereigaulen und zwei Fans, die den Schurli aus dem Fernsehen kennen und ihn nicht eher gehen lassen wollen, bis er für ein Foto mit ihnen possiert. In der Box „G“ der Ochsenbraterei wartet die Fotokopie schon auf ihr Original: Im rotkarierten Hemd grüßt vom Biertisch ein auf zehn Zentimeter geschrumpfter Wiesnschurli als Pappaufsteller. Darunter ist mit Filzstift ein Herz gezeichnet. „Für unseren Lieblingsgast“ steht daneben. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert gehört der Wiesnschurli genauso zum Oktoberfest wie das „O’ zapft is“ aus dem Mund von Christian Ude und hochgeschnürte Dekolletés. Sein Rekord liegt bei 111 Maß in 16 Tagen. Aber da war er 30, gibt er zu, „und unverwundbar“. 111 Maß in 16 Tagen Heute sind es eher 70 Maß Bier plus acht Hendl, drei Enten und einer ordentlichen Portion Wiesndisziplin. Auf die legt Georg Mayrhofer größten Wert. Mehr als zwei Wochen toujours auf dem größten Volksfest der Welt sind sonst auch nicht zu packen. Wiesndisziplin, das heißt vor allem: Dem Bier eine gute Grundlage schaffen, also das Essen nicht vergessen. Und nicht über den Durst trinken, sonst ist’s mit der guten Stimmung schnell vorbei. Dabei ist es doch gerade die, warum ihm jeder Wiesnbesuch wieder vorkommt, wie beim ersten Mal, als er sich „wie im Paradies“ gefühlt hat. Hier trifft er auf Menschen, die sich verstehen, die miteinander feiern, miteinander reden und tanzen. „Die Wiesn“, sagt er, „hat mich verändert. Sie hat mich glücklich gemacht.“ Wie man Kunden zufrieden macht, hat Georg Mayrhofer in mehr als 25 Jahren Erfahrung im eigenen Betrieb gelernt. Wie er sich selber glücklich macht, das hat ihm dann doch die Wiesn beigebracht. Elisabeth Göpel elisabeth.goepel@holzmann-medien.de