Auf seiner letzten Gesellschafterversammlung als Geschäftsführer der Decor-Union präsentiert Enno Kramer eine positive Geschäftsentwicklung. Und das nicht nur für das abgelaufene Geschäftsjahr.
Ein Abschied in Janker und Weste
Wer Enno Kramer kennt, weiß, dass ihm Dinge, die er nicht kontrollieren kann, nicht geheuer sind. Also versucht er gelassen zu bleiben, als der offizielle Teil der Gesellschafterversammlung abgeschlossen ist.
Im Kuppelsaal des Hotels Hafen Hamburg sitzen jetzt Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Decor-Union, Weggefährten und zahlreiche geladene Ehrengäste dicht an dicht, um dem langjährigen Geschäftsführer des Systemverbundes ihre Aufwartung zu machen. Er ist hin und her gerissen, wie einer, der einen runden Geburtstag angemessen mit vielen Gästen feiern will, dem aber gleichzeitig der Rummel um seine Person irgendwie peinlich ist. Enno Kramer feiert heute keinen runden Geburtstag. Nach 24 Jahren übergibt er die Leitung der Decor-Union ab, um sich mit 69 in den längst verdienten Ruhestand zu verabschieden. Es ist sein letzter offizieller Auftritt in Cordhose, hochgeschlossenem Hemd, Krawatte, Weste und Janker. In einer Welt der austauschbaren Manager tritt eine Type ab, die die Branche mit Persönlichkeit und Fachkompetenz bereichert hat, man könnte jetzt auch sagen ein Urgestein, aber das würde Enno Kramer nicht wollen. In 24 Jahren hat Kramer aus einer losen Einkaufskooperation einen wettbewerbsfähigen Systemverbund geformt und damit ein Kunststück vollbracht, das, wie es einer der zahlreichen Laudatoren formulierte, so nicht vielen Koop-Managern gelungen ist. Kramers Erfolgsgeheimnis mutet banal an, ist es aber angesichts der Realitäten im heutigen Geschäftsleben mitnichten. Er ließ sich stets leiten vom Bild des ehrenwerten hanseatischen Kaufmannes, dem unbedingte Aufrichtigkeit im Umgang mit Geschäftspartnern oberstes Gebot ist, dessen Vereinbarungen Handschlagqualität besitzen und dem die etwas aus der Mode gekommene Regel „Das tut man nicht“ Richtschnur für ein faires Miteinander ist.
Als Kramer am 1. Juli 1985 die Geschäftsführung bei der Decor-Union antrat, befand sich diese in einem desolaten Zustand. Missmanagement hatte die Gruppe an den Rand des Ruins gebracht. Kramer führte die Kooperation schrittweise aus der Krise. Indem er 1990 die Decor-Union in eine Holding umwandelte, schuf er die Voraussetzung für das heutige Drei-Säulen-Modell, das, ungewöhnlich für eine Kooperation, mehrer Wertschöpfungsebenen mit jeweils eigenen Profilen und Dienstleistungen nebeneinander unter einem Dach vereinigt. Objekt Group, Master-Group und Retail-Group bündeln Objekteure (73 Mitglieder), Großhändler (25) und Einzelhändler (263) die in Summe deutschlandweit 430 Verkaufsstellen unterhalten.
Der konzentrierte Konzernumsatz (Zentralfakturierungsumsatz + Vermittlungsumsatz) lag 2008 mit 124,0 Mio. Euro um 9,1 Mio. Euro über dem Vorjahresniveau, das Jahresergebnis der Gruppe mit 73.000 Euro ebenfalls über Vorjahr (71.000). Keine Frage, Enno Kramer hinterlässt ein gut bestelltes Haus und er wäre nicht er, wenn er nicht beim Abschied seinem Nachfolger Markus Büscher, der seit 1. März diesen Jahres an Bord ist, die Hausaufgaben für die nahe Zukunft mit auf den Weg geben würde: Den Kurs von der Waren zur Betriebstypenorientierung forcieren, kleinere und mittlere Großhändler integrieren, freie Einzelhändler eingliedern und die Onlinedienste ausbauen. „Keiner weiß, wie sich die Entwicklung darstellt“, beschreibt Kramer die augenblickliche Situation in der Branche. Für die nahe Zukunft aber ist er optimistisch. „Die Gruppe wird am Ende des Jahres noch im Plus liegen“, sagt er und das Auditorium weiß die Worte zu bewerten. So spricht einer, der sich dem klassischen Understatement verschrieben hat. Längst hat Kramer strategisch die Weichen für die Zukunft gestellt und beispielsweise als einer der Ersten in der Branche mit der Health & Care Network Group den viel zitierten Netzwerkgedanken realisiert.
Dass Kramer am Ende der Abschiedszeremonie einige wenige persönliche Einblicke in seine Vita gewährt, ist für ihn ungewöhnlich. Die Brille baumelt jetzt um den Hals, die Hand streicht durch den Drei-Tage-Bart. Er hält kurz inne und beginnt von seinen Lehrjahren in der Heimtextilienbranche zu erzählen, vom Volontariat bei diversen Industrieunternehmen, dem einjährigen Auslandsaufenthalt in England, dem BWL-Studium in Hamburg und seiner leitenden Position im Großhandel. Den künftigen Unruhestand wird er wohl in Bayern verbringen. Die Zeit dazwischen widmete er sich der Decor-Union und deren Mitgliedern. Die dankten es ihm in Hamburg mit stehenden Ovationen.Stefan Heinze