Leiharbeit im Handwerk Das Geschäft mit der Zeit

Zeitarbeit - ein Sprungbrett für die Festanstellung oder moderne Sklaverei? Die Branche der Leiharbeit gilt als verpönt. Dennoch boomt sie. Der Trend zur Zeitarbeit ist auch im bodenlegenden Handwerk längst angekommen.

Das Geschäft mit der Zeit

Für Langschläfer ist das nichts. Es ist kurz vor 3 Uhr, Uwe Mattheß trottet zum Auto. Sein Ziel: Taufkirchen. Die Entfernung: 368 Kilometer.


Dort arbeitet der gelernte Raumausstatter aus Meura. Zumindest in dieser Woche. Mattheß ist einer von 116 Leiharbeitern, die beim Akkurat Personalservice, einer Zeitarbeitsfirma, angestellt sind. Das Unternehmen ist das erste, das sich auf die Boden-Branche spezialisiert hat. Es beschäftigt und verleiht ausschließlich Bodenleger, Parkettleger und Raumausstatter.


„Das war eine Nische, ich wollte keine Firma gründen, die alle Berufe bietet“, sagt Inge Arndt-Moosmann, die das Unternehmen vor sieben Jahren aufgezogen und damit offenbar einen Treffer gelandet hat. „Wir sind zu 200 Prozent ausgelastet“, erzählt die 47-Jährige und meint damit, dass sie zumindest momentan mehr Anfragen hat, als dass sie Mitarbeiter vermitteln kann.


Mit ihrem Unternehmen hat sich Arndt-Moosmann auf umstrittenes Terrain gewagt.

Für die einen ist Zeitarbeit ein Weg aus der Arbeitslosigkeit, ein Hoffnungsschimmer, endlich wieder in dem gelernten Beruf arbeiten zu können und eine Chance auf Übernahme.


Die anderen hingegen verurteilen sie, beschimpfen die Personaldienstleister als Ausbeuter, bemitleiden die Leiharbeiter für ihren Hungerlohn und missbilligen das Konzept als moderne Sklaverei.


Auftragsspitzen auffangen

Irgendwo dazwischen steht Peter Fendt, Obermeister der Innung für München und Oberbayern. „Zeitarbeit ist für unsere Branche sinnvoll, um Auftragsspitzen glätten zu können“, findet er. Für seinen eigenen Betrieb lehnt er die Leiharbeit ab. „Meine Mitarbeiter sind ein sehr gut eingespieltes Team. Das ist für eine hochwertige Arbeit wichtig.“


Fest steht jedenfalls, dass Bedarf an Zeitarbeitern da ist und dass er steigt. Innerhalb von acht Jahren hat sich auch die Zahl der Zeitarbeiter in Deutschland mehr als verdoppelt: Während es 2002 noch etwa 318.000 Zeitarbeitnehmer in Deutschland gab, waren es 2010 laut Bundesagentur für Arbeit schon mehr als 792.000. Dieser Trend hat längst auch die Raumausstatter- und die bodenlegende Branche erfasst.

Was für die einen ein großes Übel ist, ist für Arndt-Moosmann ein florierendes Geschäft.


Auch ihre 120 Stammkunden schwören auf das Modell. „Ich brauche Leiharbeiter, um Auftragsspitzen zu bewältigen“, sagt Robert Dorst, Geschäftsführer des Raumausstatterbetriebs Knoch in Neustadt.


Seit zwei Jahren leiht er regelmäßig Handwerker vom dem Personalservice, meistens zwei, aber es waren auch schon mal sechs Zeitarbeiter. Bezahlt werden die geliehenen Arbeitskräfte bei ihm auf gleichem Niveau wie seine festen Mitarbeiter. „Ich stelle die Leiharbeiter ein, weil ich kein geeignetes Personal finde“, sagt Dorst. Denn lieber wäre ihm eine Festanstellung.


Daher macht er den Leiharbeitern immer wieder Jobangebote. Doch angenommen hat bisher niemand. Nicht, weil sein Angebot schlecht sei, bekräftigt der Dorst, sondern weil die weit angereisten Leiharbeiter ihre Heimat nicht verlassen wollen.

Hoffen auf Job zu Hause

Genauso ist es auch bei Uwe Mattheß, der inzwischen in Taufkirchen angekommen ist. Mehr als ein Jahr lang hat er schon für denselben Betrieb gearbeitet – abwerben lassen hat er sich jedoch nicht. „Da bleibe ich lieber beim Akkurat Personalservice“, sagt er. Wie viele wartet er darauf, in seiner Heimat doch noch den richtigen Job zu finden – denn von seiner Frau und den vier Kindern will er nicht weg.


Dennoch ist Mattheß froh um seine Anstellung beim Personalservice. Seit zweieinhalb Jahren ist er für die Firma tätig, vorher war er arbeitslos. „Ich habe mich damit arrangiert – für mich ist der Job eine sichere Alternative“, sagt der 36-Jährige.


Über den Akkurat Personalservice berichtet er nur Gutes. „Die Chefin setzt sich zu 100 Prozent für uns ein und sie kümmert sich um alles von der Pension bis zum Job.“

Eine weniger gute Meinung vom Modell Zeitarbeit hat Jörn Bobsien. Der Handwerksunternehmer aus Hamburg hat sich aus dem Objektbereich zurückgezogen. „Mit den Dumpingpreisen konnte ich nicht mithalten“, sagt der Parkettlegermeister. „Im Objektbereich sind die Betriebe extrem abhängig von den Objekten, auch, was die Mitarbeiterzahl betrifft. Deswegen arbeitet man dort vor allem mit Leiharbeitern.“ Er sieht in den „Dumpinglöhnen“ der Zeitarbeiter den Grund für die Billigpreise mancher Anbieter.


Heute hier, morgen dort – tatsächlich müssen die Leiharbeiter ständig zu verschiedenen Einsatzorten fahren. Beim Personalservice Akkurat können die Handwerker vorher angeben, wie weit die Strecke maximal sein darf. Bei Mattheß sind das 400 Kilometer. Für Reisekosten und Unterkunft bekommt er einen Zuschlag.


Der Geldtransfer

Sein Gehalt überweist ihm der Personalservice. Der Betrieb, bei dem er eingesetzt wird, zahlt den Stundensatz wiederum an den Personalservice. Als Stundenlohn erhalten die Handwerker netto durchschnittlich zwischen 14 und 15 Euro, hinzu kommen Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie der Reisekostenzuschuss, berichtet die Chefin der Firma. Die Handwerksbetriebe, die die Arbeitskraft leihen, zahlen pro Stunde durchschnittlich zwischen 23 und 24 Euro netto.


Aus der Differenz werden Sozialbeiträge, Urlaubsgeld und Co gezahlt und der Personalservice finanziert sich über die Gebühr. „Ein Top-Verdienst“, sagt zumindest Mattheß.


Seine Chefin pflichtet ihm bei: „Meine Mitarbeiter sind durchweg zufrieden.“ Dabei kennt sie viele nur übers Telefon. Selbst das Bewerbungsgespräch führt sie meist über den Hörer, schließlich sind ihre Mitarbeiter über ganz Deutschland verstreut. Doch das Kontakthalten scheint zu funktionieren. Wird ein Mitarbeiter neu eingestellt, kommt er zuerst mit einem erfahrenen -Zeitarbeits-Kollegen auf die Baustelle. Nach dem Einsatz ruft die Chefin den Kunden an und fragt: Wie war der Neue? Die Anforderungen an neue Bewerber sind eine abgeschlossene Ausbildung und zwei Jahre Berufserfahrung. Über diesen Artikel hofft sie, so erzählt Arndt-Moosmann, rasch weitere Mitarbeiter zu finden, denn die Anfragen werden zu viel. Den Ansturm erklärt sie sich so: „Das ist eine Win-win-Situation für alle, vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels.“ Sie stellt bevorzugt ältere Menschen mit Erfahrung ein und muss sie nicht im Winter entlassen, sagt sie. Die Handwerker müssen Urlaub nehmen oder Stunden abbauen, wenn es tatsächlich keine Aufträge gibt. „Aber das kommt praktisch nicht vor“, berichtet Arndt-Moosmann.


Doch die Frage bleibt: Ist es für belastend, ständig pendeln zu müssen und nur für kurze Zeit in fremden Teams arbeiten? „Das Ganze ist eine Typfrage“, räumt die Chefin des Zeitarbeitunternehmens ein. „Manche mögen es, häufiger mit neuen Kollegen und in neuen Städten zu arbeiten, andere mögen es nicht.“


Für Mattheß beginnt heute zweifellos eine lange Woche. Erst am Freitag, zwischen 19 und 20 Uhr, kommt er wieder nach Hause. So lange hat ihn der Betrieb geliehen. Wie es dann weitergeht, weiß er noch nicht. Ausgesucht hat er sich dieses Schicksal jedenfalls nicht.Hanni Kinadeter

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