Industrieböden Ableitfähige Kunstharzbeschichtungen: In welchen Bereichen sie sinnvoll sind und wo nicht

Eine Beschichtung ist im Normalfall nicht erforderlich, um die Ableitfähigkeit herzustellen. Die Ausführungen aller vorliegenden Regelwerke über Anforderungen im ESD-Bereich und in Bereichen bei Zünd- und Explosionsgefahr werden durch Betonbodenplatten und Verbundestriche bei normalen Raumklimabedingungen erfüllt.

Leitfähige Beschichtung
Leitfähige Beschichtung in einem Operationsraum. Hier sind Leitfähigkeit und Hygiene erforderlich. Der Einsatz einer Kunstharzbeschichtung ist sinnvoll. - © P&K Flooringgroup

Die Forderung nach Leitfähigkeit bzw. Erdableitfähigkeit eines Fußbodens besteht heute für fast alle Industriebodenflächen, da elektronische Bauteile in allen Bereichen verbaut sind. Auch beim Betrieb von Flurfördererzeugen bestehen Anforderungen seitens der Hersteller. Bei explosionsgefährdeten Bereichen bestehen besondere Vorschriften (u.a. TRBS 2153). Für ESD-Bereiche (Electrostatic Discarge Protecion Area) gibt es Hunderte Seiten Regelwerke.

Ableitfähige Kunstharzbeschichtungen sind oft nicht notwendig

Die schiere Menge und Unübersichtlichkeit der Vorschriften, führt bei Planern zu der Angst, etwas falsch zu machen und in Haftung zu geraten. Deshalb wird oft zu ableitfähigen Kunstharzbeschichtungen gegriffen, weil man damit scheinbar nichts falsch machen kann. Diese sind aber oft nicht notwendig und verursachen nur Kosten. Manchmal führt ihr unbedachter Einsatz in der Praxis zu eher suboptimalen Ergebnissen oder Schäden.

Vermutlich sind mineralische Baustoffe bis heute durch längst überholte Messvorschriften für organische Bodenbeläge (DIN 51933 von 1975 – Prüfung von organischen Bodenbelägen; Prüfung der Ableitfähigkeit für elektrostatische Ladungen für Bodenbeläge in explosionsgefährdeten Räumen), bei der die Messung nach der vollständigen Trocknung im Trockenschrank durchgeführt werden musste, in Misskredit geraten. Auch die ebenfalls überholte, sogenannte Doppelforderung, bei der gleichzeitig eine bestimmte Isolation und Leitfähigkeit nachgewiesen werden musste, hat sicher dazu beigetragen. Es kann deshalb sinnvoll sein, sich über Elektrostatik und die Eigenschaften der zur Verfügung stehenden Baustoffe Gedanken zu machen.

Grundsätzliche Überlegungen zur Elektrostatik von Industrieböden

Wenn man als Bauplaner oder Bauhandwerker, also als Laie in Sachen Elektrostatik, die vorliegende Literatur, Regelwerke oder Produktinformationen von ESD-Beschichtungen liest, gewinnt man leicht den falschen Eindruck, es würde sich dabei um die Notwendigkeit der Leitung von „Strom“ (messbar im Ampere) handeln. Es handelt sich aber um elektrostatische Ladungen.

Elektrostatische Ladungen entstehen durch die Reibung und Trennung von Materialien oder Gegenständen (z.B. Reibung von Kleidung, Bereifungen, Trennung von Kunststofffolien, bewegen von Schüttgut). Bekanntes Beispiel ist die Entladung beim Ausziehen eines Pullovers. Dabei entstehen Spannungen von mehreren Tausend Volt. Der Mensch nimmt dies erst ab ca. 3000 Volt spürbar wahr. Schäden an elektronischen Bauteilen sind aber bereits bei niederen Spannungen möglich, weshalb der Vermeidung von elektrostatischen Ladungen große Bedeutung zukommt. Es geht eigentlich darum, Ladungsunterschiede zwischen Gegenständen oder Personen möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen.

Elektrostatische Ladungen befinden sich nur an Oberflächen. Das Innere eines Leiters enthält weder Felder noch freie Ladungen. Die Ladungen an der Oberfläche sind relativ klein und stoßen sich ab. Der natürlichen Gesetzmäßigkeit zur Folge bauen sich die Ladungen sofort ab, wenn ihnen dazu die Möglichkeit gegeben wird. Möglichkeiten bei einem Industrieboden sind die Raumluft, mit dem Boden kontaktierende und geerdete Gegenstände wie Maschinen, Regale, Rohrleitungen, Erdungsanschlüsse. Man kann dies aus zahlreichen Messungen des Erdableitwiderstandes von Betonböden herleiten, die durch Folien, Perimeterdämmungen oder bituminösen Abdichtungen von der Erde getrennt sind. Auch hier findet eine „Ableitung“ bzw. ein Abbau der Ladungen statt.

Die Leitfähigkeit von Beton, und damit auch die Aufnahmefähigkeit von Ladungen, ist abhängig vom Feuchtigkeitsgehalt und den darin gelösten Salzen aus dem Baustoff. Aus diesem Grund ist eine genaue Definition der Leitfähigkeit nicht möglich. Ein neu eingebauter Beton ist sehr ableitfähig RE ca. 1 kΩ. Im Laufe der Trocknung steigt der Widerstand abhängig vom Raumklima an. Im Normalfall werden nach einigen Jahren Werte zwischen 100 MΩ und 600 MΩ gemessen. Höhere Widerstände sind theoretisch möglich, aber praktisch irrelevant, wie Tausende Messungen über Jahrzehnte zeigen. Eine Überschreitung von RE 109 Ω wird praktisch nie festgestellt, theoretisch wäre dies eventuell bei langanhaltender rel. Luftfeuchte < 20% möglich (vgl. Grafik rechts).

Beton, Zementverbundestriche, Hartstoff- und insbesondere Magnesiaestriche bestehen aus sorbierenden Baustoffen. Steigt die Luftfeuchtigkeit wieder an, stellt sich die Leitfähigkeit sofort wieder ein. Man kann sie auch durch einfache Feuchtreinigung sofort wiederherstellen. Ist man unsicher, wünscht aber einen mineralischen und uneingeschränkt mechanisch beanspruchbaren Boden, empfiehlt sich ein Magnesia-Industrieboden. Dieser ist durch seinen hohen Elektrolytgehalt auch bei sehr trockener Umgebung ausreichend leitfähig. Durch die Möglichkeit Kohlenstoff-Pigmente zuzusetzen ist er auch bei völliger Trocknung leitfähig und würde sogar die mittlerweile überholten Messvorschriften erfüllen.

Leitfähige Kunstharzbeschichtung
Leitfähige Kunstharzbeschichtung in einem EX-Bereich. Die Beschichtung ist durch die mechanische Beanspruchung überfordert. Ein mineralischer Industrieboden wäre in einem solchen Bereich zweckmäßiger. - © P&K Flooringgroup

Wann ist eine leitfähige ­Beschichtung sinnvoll?

Eine Kunstharzbeschichtung ist sinnvoll, wenn die speziellen Eigenschaften einer Beschichtung gebraucht oder gewünscht werden z. B. wegen Optik, Widerstandsfähigkeit gegen Chemikalien, Hygiene, Reinraumanforderungen. Kunstharzbeschichtungen aller Art sind nicht leitfähig. Sie müssen erst durch Zusatz von Leitmitteln wie Pigmenten, Fasern oder Salzen leitfähig gemacht werden. Dies ist technologisch nicht ganz einfach. Es sind besondere Schichtaufbauten erforderlich, die untereinander an jeder Stelle einen elektrischen Kontakt sicherstellen müssen, was handwerklich nicht unproblematisch ist. Dem wurde bereits durch die Einführung der Dreipunkt-Elektrode entgegengekommen. Die ausführenden Firmen müssen über entsprechende Erfahrungen verfügen.

Die Ableitfähigkeit von Beschichtungen ist definiert und ändert sich wenig. Trotzdem ist auch auf das Raumklima zu achten. Bei sehr trockener Luft sind eventuell zusätzliche Maßnahmen (Befeuchtung) erforderlich. Eine Beschichtung ist im Normalfall nicht erforderlich, um die Ableitfähigkeit herzustellen. Die Anforderungen aller vorliegenden Regelwerke über Anforderungen im ESD-Bereich und in Bereichen bei Zünd- und Explosionsgefahr werden durch Betonbodenplatten und Verbundestriche bei normalen Raumklimabedingungen erfüllt. Es sollte auch beachtet werden, dass Kunstharzbeschichtungen für Bereiche mit Flurförderzeugbetrieb und schleifender oder kratzender Beanspruchung vorsichtig ausgedrückt, nicht besonders geeignet sind.

Anforderungen an ­Ableitfähigkeit

Grundsätzliche Empfehlung: Die nachstehend beschriebenen Anforderungen entstammen den wesentlichen Regelwerken. Es gibt aber weit mehr. Über die Prüfmethoden, zu verwendende Elektroden, Zeiträume, Anzahl der Messungen, bestehen teilweise sehr unterschiedliche Regeln, aber auch spezielle Ansichten und Regeln einzelner Prüfstellen und Firmen. Um Streitigkeiten zu vermeiden, ist es deshalb dringend zu empfehlen, im Voraus zu vereinbaren, mit welcher Elektrode an welchen und wie vielen Stellen, wann zu messen ist. Rein technisch betrachtet kann man diese unterschiedlichen Meinungen aber ignorieren, da es physikalisch unmöglich ist, einen geringeren Widerstand zu messen als der materialbedingt vorhandene. Man ist also messtechnisch immer auf der sicheren Seite.

Prüfung des Erdableitwiderstandes RE nach DIN EN 1081 und DIN ICE 61340-4-1: Es wird der Widerstand zwischen der Bodenoberfläche und Erde (in der Regel an einer Erdungsanlage, Schutzpotentialausgleich nach VDE 0100-410) gemessen. Auf Fußböden wird in der Regel die Dreifußelektrode verwendet, es sind aber auch Rundelektroden mit 2,5 und 5 kg möglich. Die Dreifußelektrode kommt der Schwäche von leitfähigen Kunstharzbeschichtungen entgegen, da diese zu punktuell isolierten Stellen neigen (vgl. Bilder unten).

2,5 kg Elektrode
Messung mit der 2,5 kg Elektrode. - © Böhl
Dreifußelektrode
Messung mit der Dreifußelektrode. - © Böhl

Ableitwiderstand RE von Fußböden in explosionsgefährdeten Bereichen (Gase, Dämpfe, Nebel oder brennbare Stäube) der Zonen 0, 1, 20 sowie in Zone 21 bei Stoffen mit MZE < 3 mJ. Hier darf der Ableitwiderstand des Fußbodens den Wert von 108 Ω nicht überschreiten (GUV-Regel - Vermeidung von Zündgefahren infolge elektrostatischer Aufladungen und TRBS 2153 Technische Regeln für Betriebssicherheit).

Anforderung an Fußböden in EPA-Bereichen (EPA = ESD protected area): Bereiche, in denen mit sensiblen elektronischen Bauteilen gearbeitet wird, müssen als ESD Schutzzone (EPA = ESD protected area) ausgestattet sein.

Anforderungen für ESD-Bereiche (ESD = Electro Statical Discharge): In diesen Bereichen müssen elektrostatische Entladungen sicher verhindert werden, um die Beschädigung elektronischer Bauteile zu verhindern.

Klassifizierung von Fußböden nach elektrischen Eigenschaten
Klassifizierung von Fußböden nach elektrischen Eigenschaften. - © EstrichTechnik

Folgende Normen sind anzuwenden:

  • DIN EN 61340-4-1 Elektrostatik, Teil 4-1: Standard-Prüfverfahren für spezielle Anwendungen – Elektrischer Widerstand von Bodenbelägen und verlegten Fußböden
  • DIN EN 61340-4-5 Elektrostatik, Teil 4-5: Standard-Prüfverfahren für spezielle Anwendungen – Verfahren zur Charakterisierung der elektrostatischen Schutzwirkung von Schuhwerk und Boden in Kombination mit einer Person.

ESD-Anforderungen

DIN EN 61340-5-1 Elektrostatik, Teil 5-1: Schutz von elektronischen Bauelementen gegen elektrostatische Phänomene. Allgemeine Anforderungen. Frühere Anforderungen an einen Mindestwiderstand, die sogenannte Doppelforderung, ist in den jetzt gültigen ESD-Regelwerken nicht mehr enthalten.

Personenschutz bei ­Starkstromanlagen

In Arbeitsbereichen mit Starkstromanlagen, bei denen die Gefahr besteht, dass eine Person mit spannungsführenden Teilen in Kontakt kommt, muss der Boden isolierend sein. Mineralische Baustoffe, wie Beton-Industrieböden, sind dafür nicht geeignet, da der geforderte Standortübergangswiderstand nicht gewährleistet ist. Der betroffene Arbeitsbereich muss mit einer geeigneten Beschichtung, Matten oder Kunststoffbelägen ausgerüstet sein. Gemessen wird der Standortübergangswiderstand RST mit einer 25 x 25 cm großen Metallelektrode auf einem feuchten Tuch, die mit 750 N belastet wird. Die Messmethode und die Messergebnisse sind mit den vorstehend beschriebenen Messmethoden nicht direkt vergleichbar.

Relevante Normen:

  • Die DIN VDE 0100 dient dem Schutz von Personen bei Kontakt spannungsführender Teile bis 1000 V. Sie regelt den unteren Grenzwert des Standortübergangswiderstandes RST.
  • DIN VDE 0100 – 410: Errichten von Niederspannungsanlagen Teil 4 Schutzmaßnahmen - Schutz gegen elektrischen Schlag (Juni 2007).
  • DIN VDE 0100 – 600: Errichten von Niederspannungsanlagen Teil 6 Prüfungen.

Wichtig: Wenn sich isolierende Schichten (z.B. Kunstharze), auch sehr dünne, zwischen Ladungsträger und Boden befinden ist eine Ableitung nicht möglich. Auf Pflegemittel wie Polymerwachse, Verschmutzung durch Lacke usw. ist zu achten. Die regelmäßige Prüfung der Ableitfähigkeit und des Raumklimas ist im Rahmen der Qualitätssicherung bzw. Arbeitssicherheit notwendig, deren Organisation ist zu regeln.

Interpretation von gemessenen Ableitwiderständen
© EstrichTechnik
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    ESD-Beschichtung
    © P&K Flooringgroup
    ESD-Beschichtung in einem Montagebe- reich für elektronische Bauteile ohne nennens- werte mechanische Beanspruchung. Hier ist der Einsatz einer ableitfähigen Beschichtung sinnvoll.
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    Leitfähige Kunstharzbeschichtung
    © P&K Flooringgroup
    Leitfähige Kunstharzbeschichtung in einem Lagerbereich für elektronische Bauteile. Das Bild zeigt die typischen thermischen Verschwelungen beim Einsatz von elektrischen Gabelhubwagen. Derartige Bereiche wirken nach kurzer Zeit zumindest optisch unschön. Der Einsatz mineralischer Baustoffe wäre hier zweck- mäßiger.