EuGH-Urteil Fatale Folgen für die Fußbodenbranche

Bauaufsichtliche Zulassung bei Bodenbelägen nicht länger nötig. Aufwändige Prüfungen fallen bei vielen Produkten weg. Bodenleger haben künftig mehr Verantwortung, Rechtsanwalt Martin Kuschel erläutert bwd die Auswirkungen des Urteils für die Bodenbelagsbranche.

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bwd Herr Kuschel, ist die bauaufsichtliche Zulassung des DIBt, die in der neuesten EuGH-Entscheidung für Elastomer, Dichtungen und für einige andere Bauprodukte formuliert ist und der gesamten Bodenbelagsbranche in den vergangenen Jahren so viel Kopfzerbrechen bereitet hat, mit der Entscheidung des EuGH hinfällig oder sind Parkett und Bodenbeläge sowie Verlegewerkstoffe, Parkettöle und Lacke davon nicht betroffen?

Kuschel: Das muss man etwas differenzieren: Von der EuGH-Entscheidung sind nur diejenigen Bauprodukte betroffen, für die es europäisch harmonisierte Normen gibt. Im Bodenbelagsbereich sind dies beispielsweise elastische, textile und Laminat-Bodenbeläge, Holzfußböden und Parkett sowie Sportböden. Die entsprechenden Normen (DIN EN 14041, DIN EN 14342 und DIN EN 14904) sind europäisch harmonisiert und nach diesen Normen können die Beläge mit Leistungserklärung und CE-Kennzeichnung versehen werden.

Anders sieht dies aus für Produkte, die (noch) nicht europäisch harmonisiert sind, also zum Beispiel Verlegewerkstoffe, Parkettöle und Lacke, die nicht bereits werkseitig aufgebracht worden sind und deshalb in der Leistungserklärung zu dem jeweiligen Produkt bereits berücksichtigt sind. Soweit das DIBt für solche Produkte beispielsweise eine bauaufsichtliche Zulassung fordert, ist diese auch weiterhin erforderlich.

bwd Was bedeutet das Urteil für die CE-Kennzeichnung allgemein, wenn kein Ü-Zeichen mehr erforderlich wäre?

Kuschel: Vordergründig bedeutet das Urteil den Wegfall der vielen und aufwändigen Prüfungen, die ein Hersteller vornehmen musste, um ein Produkt in Deutschland vermarkten zu können. Das Urteil hat jedoch auch eine klare Kehrseite: Jetzt liegt die Verantwortung viel stärker bei dem Planer und Verleger. Dieser muss anhand der CE-Kennzeichnung beziehungsweise der Leistungserklärung sehr genau prüfen, ob er das jeweilige Produkt tatsächlich einsetzen kann und darf.

Während es bisher eine Behörde (das DIBt) gab, die ein Produkt geprüft und für die Verwendung freigegeben hat, muss jetzt nur noch der Hersteller beziehungsweise Importeur die Leistung seines Produkts angeben, und es liegt in der Hand des Anwenders, zu prüfen, ob das Produkt bei der jeweiligen Bauaufgaben überhaupt eingesetzt werden kann und darf. Man kann hier durchaus von einem Paradigmenwechsel sprechen: An die Stelle der bisherigen behördlichen Prüfung und Genehmigung eines Bauprodukts tritt jetzt die Eigenverantwortung des Herstellers und des Verwenders.

bwd Wenn das CE-Kennzeichen auf dem Produkt aufgebracht ist, sind damit nach Auffassung des EuGH sämtliche sonstigen Anforderungskriterien erfüllt.

Kuschel: Auch hier muss man wieder differenzieren: Nach Ansicht des EuGH sind mit der CE-Kennzeichnung die Anforderungen an die Vermarktung in Europa erfüllt. Das heißt jedoch nicht, dass das Produkt in allen Mitgliedstaaten auch ohne weiteres verwendet werden darf. Im Rahmen der Bauproduktenverordnung haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, festzulegen, welche Leistungsklasse oder Leistungsstufe ein Bauprodukt erreichen muss, um in dem jeweiligen Mitgliedstaat verwendet werden zu dürfen. Diese Leistungsklassen oder Leistungsstufen werden für jedes Produkt in der Leistungserklärung des Herstellers angegeben.

bwd Wer wäre der Nutznießer, wenn die teure und zeitaufwendige Prüfung der Bauprodukte, die man in Deutschland und einigen wenigen anderen Ländern fordert, zukünftig weg fallen würde?

Nutznießer sind ganz klar die Hersteller und Importeure von Bauprodukten, die jetzt europaweit ein einheitliches System haben, in dem sie die Eigenschaften ihres Bauprodukts angeben und mit anderen Produkten vergleichbar machen. Die zum Teil sehr aufwändigen Prüfungen, die mit den jeweiligen nationalen Anforderungen verbunden waren, entfallen jetzt für alle Produkte, für die es harmonisierte Normen gibt.

bwd Hat die Entscheidung bereits Rechtswirksamkeit oder wie sind die Fristen geregelt?

Kuschel: Die Entscheidung des EuGH ist rechtswirksam; es gibt auch keine Fristen, die noch einzuhalten wären. Das Urteil enthält jedoch keine konkreten Maßnahmen, welche die Bundesrepublik jetzt ergreifen müsste. Es wird lediglich festgestellt, dass die bisherige Praxis, zusätzliche nationale Anforderungen in der Bauregelliste B zu stellen, europarechtswidrig ist. Diesen Verstoß muss die Bundesrepublik abstellen.

bwd Welche Folgen hat die Entscheidung für das bodenlegende Handwerk?

Kuschel: Zunächst einmal kann das bodenliegende Handwerk in vielen Bereichen auf ein größeres Produktangebot zurückgreifen. Denken Sie beispielsweise an Parkett aus Räuchereiche, für welches es ja lange Zeit keine bauaufsichtliche Zulassung gegeben hat. Nach der Entscheidung des EuGH kann ein solches Parkett jetzt verwendet werden, wenn es eine CE-Kennzeichnung trägt und in der Leistungserklärung die für den jeweiligen Verwendungszweck erforderliche Leistung ausgewiesen ist.

Wie ich oben bereits angedeutet habe, hat die Entscheidung jedoch auch eine ganz deutliche Kehrseite: Der Verleger kann sich, anders als beim Ü-Zeichen, nicht allein auf das CE-Kennzeichen verlassen, sondern muss anhand der Leistungserklärung sorgfältig prüfen, ob das jeweilige Material auch sämtliche für den vorgesehenen Verwendungszweck erforderlichen Leistungsdaten einhält. Etwas überspitzt formuliert: Das Ü-Zeichen bestätigte, dass er das Produkt einbauen durfte; das CE-Kennzeichen gibt lediglich an, dass er bestimmte Angaben zum Produkt in der Leistungserklärung findet.