Der interessante Schadensfall Eine Verbundestrichkonstruktion und ihre Tücken Zum Glück den Betonuntergrund auf seine Verlegereife geprüft

Für die Archivierung alter Akten beauftragte die öffentliche Hand einen Generalunternehmer mit dem Bau einer Lagerhalle. ’bwd‘-Experte Dipl.-Ing. Ralf Marth sagt, warum im Zuge der Maßnahme fast der Estrichleger alt ausgesehen hätte.Zum Glück den Betonuntergrund auf seine Verlegereife geprüft Schnell wurden nämlich Mängel ermittelt, die nur mit sehr hohem Zeit- und Kostenaufwand beseitigt werden konnten. Der GU stellte u.a. erdreichangrenzend die WU-Betonkonstruktion mit der Festigkeitsklasse C 25-30 her. Eine 80 bis 90 mm dicke Verbundestrichkonstruktion der Festigkeitsklasse CT C30-F5 sollte zu einem späteren Zeitpunkt der Auftragnehmer für Estricharbeiten herstellen. Die Höhe der Verbundestrichkonstruktion ergab sich aufgrund der in dieser Lagerhalle auf die Betonkonstruktion aufgebrachten Schienensysteme (zum Bewegen der zu einem späteren Zeitpunkt zu installierenden Regalsysteme). Der Auftragnehmer für Estricharbeiten hat ordnungsgemäß, und dies war auch sein Glück, gemäß VOB den neu hergestellten Betonuntergrund in Bezug auf seine Verlegereife, also für die Applizierung einer Verbundestrichkonstruktion, überprüft. Bereits bei einer ersten Inaugenscheinnahme wurde durch ihn eine sehr weiche, labile obere Betonrandzone ermittelt, der GU hat demnach bei der Betonherstellung die Betonoberfläche zu lange und zu früh mit einer Eintellermaschine geglättet, so dass an der oberen Betonrandzone Sedimentationsschichten entstanden. Der Auftragnehmer für Estricharbeiten meldete im Dialog mit dem GU ordnungsgemäß Bedenken an, was die Verlegereife des Betonuntergrundes betraf. Da in dem Fall eine Verbundestrichkonstruktion hergestellt werden sollte, musste die Betonoberfläche von der vorhandenen weichen, labilen oberen Randzone, also von den Sedimentationsschichten befreit werden. Das war einzig durch Fräs- und anschließende Kugelstrahlmaßnahmen im Kreuzgang möglich. Nach der grobmechanischen Entfernung der Sedimentationsschichten wurde ein Sachverständiger mit der Überprüfung der Betonkonstruktion von Bauherr und GU eingeschaltet. Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings bereits Fräs- und Kugelstrahlmaßnahmen ausgeführt worden. Der Sachverständige wurde von Bauherr und GU beauftragt, Haftzugprüfungen an der kugelgestrahlten Betonoberfläche vorzunehmen – es sollte festgestellt werden, ob für die Applizierung einer Verbundestrichkonstruktion eine ausreichende Festigkeit gegeben ist. Gemäß dem BEB-Merkblatt („Oberflächen- und Haftzugfestigkeit; Allgemeines, Prüfung, Einflüsse, Beurteilung“; November 2004) müsste die Oberflächenzugfestigkeit von Beton und Verbundestrichen ohne Fahrbeanspruchung 1,0 N/mm2 und mit Fahrbeanspruchung 1,5 N/mm2 betragen. Allgemeines zum Thema Haftzugprüfungen: Für die Beurteilung von Oberflächen- sowie Haftzugfestigkeit sind außer dem Zahlenwert jedoch auch Bruchbild und -tiefe von entscheidender Bedeutung. Daher ist das Bruchbild nach DIN EN 13892-8 zu beschreiben und die Bruchtiefe anzugeben. Gegebenenfalls kann ein Foto zur Dokumentation des Sachverhalts hilfreich sein. Die ermittelten Einzelwerte sollten nicht um mehr als 30 Prozent von den genannten Mittelwerten abweichen. Die Oberflächenzugfestigkeit hängt nicht nur von Zusammensetzung und Ausführung (insbesondere Oberflächenbearbeitung) des Untergrundes, sondern entscheidend auch von der Nachbehandlung und den Umgebungsbedingungen ab. Bei gleicher Festigkeitsklasse können verschieden feste Oberflächen entstehen. Bei ungünstigen Baustellenbedingungen (Zugluft, offene Fenster und Türen, intensive Sonneneinstrahlung) kommt es zu kleineren Werten. Von der Oberflächenzugfestigkeit kann daher nicht auf die Festigkeitsklasse und grundsätzlich nicht auf die Tragfähigkeit eines Untergrundes geschlossen werden. Hinweise für die Erhebung von Haftzugprüfungen: Auf die zu prüfende Fläche wird ein biegesteifer, zylindrischer Stahlstempel mit einem Durchmesser von etwa 50 mm aufgeklebt. In der Folge wird der Prüfstempel unter gleichmäßigem Kraftaufwand mittels einer Vorrichtung senkrecht auf Zug bis zum Abriss beansprucht. Die Zugkraft wird laufend von dem Gerät aufgezeichnet, wobei der letztlich sich ergebende Wert entscheidend ist. Aus der dafür aufzubringenden Kraft und der Fläche des Prüfstempels ergibt sich in Newton/Quadratmillimeter die Oberflächenzugfestigkeit. Die dabei erzielten Bruchbilder geben Aufschluss über die Güte der geprüften Oberfläche. Hierbei ist zwischen einem Adhäsionsbruch (Bruch zwischen zwei Schichten) und einem Kohäsionsbruch (Bruch innerhalb einer Schicht) zu differenzieren. Weitere Punkte sind zusätzlich für diese Prüfung zu beachten: ◊ Das Alter mineralisch gebundener Fußböden sollte zum Prüfzeitpunkt mindestens 28 Tage betragen. ◊ Nur bei Festigkeitsklassen Ž C45-F6 (ehemals E40) beziehungsweise Ž B25 sollte die Prüffläche mit geeigneter und in Schablonen geführter Diamantbohrkrone nass oder trocken vorgebohrt werden. Bei Festigkeitsklassen C45-F6 beziehungsweise B25 ist das Vorbohren nicht erforderlich. ◊ Für eine aussagekräftige Überprüfung sind mindestens fünf Prüfstellen anzulegen, welche über die gesamte Fläche verteilt sein sollten. ◊ Die Prüfung sollte am (etwa mit Drahtbürsten) mechanisch aufgerauten und abgesaugten, aber sonst unbehandelten oder nachgebesserten Untergrund vorgenommen werden. Grundsätzlich sollte entweder Estrichoberfläche oder Gesamtaufbau (d.h. mit Vorbehandlung und Spachtelung) geprüft werden. ◊ Die obere, gegebenenfalls vorgebohrte Zone des Fußbodens muss zum Prüfzeitpunkt trocken sein. ◊ Für die Prüfung auf unbehandelten sowie nicht imprägnierten und/oder beschichteten Estrichen (Betonen) sollte geeigneter PMMA-Klebstoff verwendet werden. ◊ Der Klebstoff soll nicht über den Rand des Prüfstempels hinausragen. ◊ Die Fußbodenoberfläche sollte glatt sowie der Stempel per Klebung vollflächig mit dem Untergrund verbunden sein. Die Krafteinwirkung bei Abzug muss genau senkrecht erfolgen, da bei „schrägem“ Abzug das Prüfungsergebnis verfälscht wird. ◊ Die bauklimatischen Bedingungen sind zu beachten und sollten im Prüfprotokoll dokumentiert werden. ◊ Von jeder Prüfung ist ein Foto vom Stempel anzufertigen, auf dem die Bruchzone zu erkennen ist, sowie ein weiteres, das die ausgebrochene Stelle im Boden abbildet. Für das Anbohren ist Folgendes zu beachten: Gemäß ZTV-ING ist das Trockenbohren nicht gestattet. Gerade bei thermoplastischen Oberflächenschutzschichten ist wegen der zu erwartenden Spitzentemperaturen das Trockenbohren ungeeignet. Es ist darauf zu achten, dass, wenn zwei mineralisch verbundene Fußbodenschichten in Bezug auf die Haftzugfestigkeit geprüft werden sollen, die Prüffläche der oberen Schicht durch nasses Vorbohren oder Einschneiden in die untere Schicht von der übrigen Fläche zu trennen ist. Wegen der Mantelreibung ist trockenes Vorbohren nicht empfehlenswert. Klebstoff auf Beschichtung abstimmen Wenn die Haftung einer Kunstharzschicht auf dem mineralisch gebundenen Untergrund geprüft werden soll, erfolgt die Haftzugprüfung nach trockenem Vorbohren mit einer geeigneten und in Schablonen geführten Diamantbohrkrone. Hierbei ist zu beachten, dass der Klebstoff für das Aufkleben der Prüfstempel auf das Kunstharzbeschichtungssystem abgestimmt sein muss, so dass es nicht zu einer ungewollten Verfestigung des Prüfuntergrundes kommt. Mehrere Fakroren beeinflussen die Prüfergebnisse in unterschiedlicher Weise. So ist z.B. der jeweils verwendete Klebstoff entscheidend, da verschiedene Typen zu divergierenden Oberflächenzugfestigkeitswerten führen. Dies hat u.a. damit zu tun, dass relativ elastische Klebstoffe, z.B. PUR, verhältnismäßig hohe Zugspannungen aufnehmen, ehe die Kräfte auf den zu prüfenden Untergrund übertragen werden. Häufig werden für PUR-Klebstoffe Werte gemessen, die 1 N/mm2 höher liegen als bei der Verwendung starrer Systeme. Im Unterschied dazu leiten starre Klebstoffsysteme, etwa PMMA, die Kräfte direkt in den Untergrund ein. Viele Epoxydharzklebstoffsysteme verfestigen dagegen die Prüfoberfläche in einem Maß, welches nicht den realen Gegebenheiten entspricht. Die ermittelten Werte sinken je nach der Klebstoffart teils ins Bodenlose, wenn der Prüfstempel bereits wenige Minuten nach dem Aufkleben abgerissen wird. Interessant ist in dem Kontext, dass sich teilweise die Bruchbilder bei Verwendung unterschiedlicher Klebstoffe sowie Aufklebezeiten täuschend ähneln, aber völlig andere Werte ergeben. Dass Prüfoberflächen trocken sind, ist bei den meisten Klebstoffen wichtig, sonst werden verfälschte Ergebnisse ermittelt, der Bruch erfolgt häufig in der Klebstoffschicht. Es ist nicht sinnvoll, die Fußbodenfläche mit offener Flamme oder einem Heißluftgerät zu trocknen, da dabei Gefügeschäden entstehen können. In einem solchen Fall bietet sich eine Laborprüfung an, bei der z.B. ein Bohrkern bei geeigneten Temperaturen so lange im Trockenschrank gelagert wird, bis eine Prüfung möglich ist. Weiter ist zu beachten, dass etwa gefräste und teils auch kugelgestrahlte Oberflächen verringerte Oberflächenzugfestigkeitswerte aufweisen als der unbehandelte Beton- oder Estrichuntergrund. Schlechte Ergebnisse werden grundsätzlich dort ermittelt, wo Zugluft auf die Oberfläche eingewirkt hat. Haftzugfestigkeit war zu gering Im Bauvorhaben wurden von dem beauftragten Sachverständigen zunächst Haftzugprüfungen am gefrästen sowie kugelgestrahlten Betonuntergrund vorgenommen. Es wurden Werte von 0,3 bis 0,5 N/mm2 ermittelt. Aufgrund dieser nicht ausreichenden Oberflächenhaftzugfestigkeit waren weitere Verfestigungsmaßnahmen durch den Gebrauch von niedrig viskosen Grundierungen nötig. Vier Gewährleistungs-/Musterflächen wurden angelegt. Vier unterschiedliche Produkte unterschiedlicher Hersteller kamen zum Einsatz: ◊ eine handelsübliche Dispersionsgrundierung, ◊ eine Haftbrücke auf mineralischer Basis, ◊ ein niedrig viskoses Epoxydharzsystem mit Lösemittel, ◊ ein niedrig viskoses Epoxydharzsystem ohne Lösemittel. Nach 48 Stunden Trocknung wurden weitere Haftzugfestigkeitsprüfungen vorgenommen. Die handelsübliche Dispersionsgrundierung sowie zementäre Haftbrücke verfestigten die Betonoberfläche nicht ausreichend, abermals wurden in den Bereichen Haftzugfestigkeitswerte von 0,5 bis 0,6 N/mm2 ermittelt. Dagegen verfestigten niedrig viskose Epoxydharzgrundierungen die Betonoberfläche ausreichend tief und gut, die Haftzugfestigkeitswerte reichten von 1,5 bis 1,8 N/mm2. Wichtig waren auch Art und Verwendung des ofengetrockneten Quarzsandes. Je früher in die frische Epoxydharzgrundierung dieser Sand eingestreut wurde, desto geringer waren auch die ermittelten Haftzugfestigkeitswerte. Auch Einstreumenge und Korngrößenverteilung spielten eine Rolle. Je mehr Sand eingestreut wurde, desto geringer waren die Werte – die höchste Haftzugfestigkeit wurde für die Körnung zwischen 0,7 sowie 1,25 mm ermittelt. Als Grundierung wurde zweikomponentiges Epoxydharzmaterial verwendet. Der GU hatte ob der Haftzugfestigkeitswerte und der ermittelten Bruchbilder an der unbehandelten, gefrästen sowie kugelgestrahlten Betonoberfläche Bedenken bezüglich Festigkeit/Güte der ganzen Betonkonstruktion, so dass zusätzlich, wegen des erhöhten Sicherheitsbedürfnisses des Bauherrn, entsprechende Kernbohrungen für die Durchführung von Bestätigungsprüfungen beauftragt wurden. Laborprüfungen: Beauftragt wurde die Entnahme von Bohrkernen aus der Stahlbetonbodenplatte, Druckfestigkeit- und Rohdichtebestimmungen nach DIN EN 12504-1 und das Tiefenprofil der Haftzugfestigkeit im Abreißversuch nach DIN EN 1542. Hierzu wurden auf der gesamten Grundrissfläche von ungefähr 3.500 m2 vom Sachverständigen aus der Stahlbetonbodenplatte acht Bohrkerne entnommen. Als Dicke der Betonbodenplatte wurden 15 cm ermittelt. Ausgeschrieben war im Leistungsverzeichnis ein Beton der Druckfestigkeitsklasse C25/30. Anhand der Bestätigungsprüfungen im Labor wurde ein Beton der Druckfestigkeitsklasse C30/37 ermittelt, d.h., die geforderten Mindestanforderungen wurden mit einem Sicherheitsspielraum erreicht. An zwei Bohrkernen wurden jeweils fünf zusätzliche Haftzugprüfungen in verschiedener Tiefe vorgenommen. Zweck dieses Versuches war die Ermittlung einer maximalen Haftzugfestigkeit des Betons, damit ein tiefenabhängiges Profil dargestellt werden konnte und gegebenenfalls geschädigte Oberflächen tiefenabhängig eingegrenzt werden konnten. Nach vorgegebenen Tiefenstufen wurden die Bohrkerne nass geschnitten und anschließend im Klimaschrank entsprechend getrocknet. Auf der zu untersuchenden Oberfläche wurde danach mittels Kernbohrung bis zu einer Tiefe von 5 mm angebohrt. Bei den anschließend vorgenommenen Haftzugprüfungen wurden Haftzugfestigkeitswerte (von oben nach unten) zwischen 1,8 sowie 3,3 N/mm2 ermittelt. Der höchste Haftzugfestigkeitswert wurde dabei in einer Tiefe von 100 mm, gemessen ab Oberkante Betonkonstruktion, ermittelt. Verfestigung des Untergrundes: Vor dem Aufbringen der Grundierung wurden allerdings die entsprechenden Schienensysteme seitens des Auftragnehmers für Regalbauarbeiten lotgerecht und unter erheblichem Arbeitsaufwand unmittelbar auf die Rohbetondecke befestigt. Der Auftragnehmer für Estricharbeiten hat jeweils abschnittsweise, je nach Tagesleistung, den vorhandenen Betonuntergrund mit einem leistungsfähigen Industriestaubsauger abgesaugt und die entsprechende zweikomponentige Epoxydharzgrundierung aufgetragen. Bauherr wollte Bewegungsfugen Nach Einwirk- beziehungsweise Trocknungszeit wurde die Fläche mit ofengetrocknetem Quarzsand der Körnung 0,7 bis 1,25 mm abgestreut. Der überschüssige Quarzsand wurde am nächsten Tag abgesaugt und, aufgrund eines erhöhten Sicherheitsbedürfnisses des Bauherrn, zusätzlich die zementäre Haftbrücke aufgetragen und in einer zweischichtigen Arbeitsweise die hier in Rede stehende, etwa 80 mm dicke Verbundestrichkonstruktion „frisch in frisch“ hergestellt. Zusätzlich wurden auf einen ausdrücklichen Wunsch des Bauherrn hin entsprechende Bewegungsfugen innerhalb der Verbundestrichkonstruktion durch entsprechende Metallbewegungsfugenprofile ausgebildet. Nach Herstellung/Fertigstellung jener Estrichkonstruktion sollen Beschichtungsmaßnahmen ausgeführt werden. Diese Maßnahmen, weitere negative Sachverhalte und Risiken bei sehr dicken Verbundestrichen werden im zweiten Teil dieses Fachartikels näher erläutert (siehe ’bwd‘, Ausgabe 2/2007); weiter wird im zweiten Teil näher dargelegt, welche Sanierungsmethoden alternativ möglich gewesen wären, wenn der Sachverständige eher hinzugezogen worden wäre.Ralf Marth ralf.marth@freenet.de