50 Jahre netto: Die Schweizer Einkaufsgruppe feierte mit einem großen Fest in Zürich ihren runden Geburtstag Weitsichtig und kollegial

Rund 500 Gäste folgten Ende Mai der Einladung zum großen Jubiläumsfest der netto-Einkaufsgruppe ins Züricher Kongresshaus. Zahlreiche Beiträge und zwei Ausstellungen lenkten dort den Blick auf eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte.

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    Eine Ausstellung im Kongresshaus Zürich ließ Fußbodenwelten aus fünf Jahrzehnten Revue passsieren.
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    Illustre Gäste aus Deutschland (v.l.n.r.): Thomas Neumann mit Beate Neumann (Decor Union) und Wotex-Geschäftsführer Jan Deckmann mit Tanja Deckmann.
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    Jörg Grieder mit Partnerin Marianne Schöneberger.
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    Das Kongresshaus Zürich bot den feierlichen Rahmen für die Jubiläumsfeier,
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    Alois Limacher, Moderatorin Christa Rigozzi und Peter Artho.

Feiern können sie, die Schweizer. Ende Mai zelebrierte die netto AG, der Zusammenschluss der führenden Schweizer Boden- und Raumausstatter-Handwerker, in Zürich ihr 50-jähriges Bestehen. Mit allem, was dazugehört: Apero, Bankett, Unterhaltung-Shows und vielen spannenden Blicken zurück in die Historie der Schweizer Bodenbelagbranche und natürlich der netto AG.

Den festlichen Rahmen dafür bot das ehrwürdige Züricher Kongresshaus, wo die Gäste bereits nach der Ankuft im Foyer auf eine  Reise durch die Einrichtungswelten und Fußbodentrends der letzten 50 Jahre mitgenommen wurden. Fünf Kojen präsentierten im Dekadensprung, was für Bodenbeläge im jeweiligen Jahrzehnt en vogue waren. Vom Kick-off mit Linoleum 1965 führte der Retrotrip über den Teppichboden-Boom in den siebziger Jahren zum Revival von Holzfußböden in den Achtzigern, vorbei am Laminathype in den  späten neunziger Jahren und schließlich in die Bodenbelaggegenwart mit ihren zeitgeistigen Designbelägen.

Ein zukunftsweisendes Geschäftsmodell

Keine Frage: „Die Bodenfachleute“ der netto AG haben in ihrer fünfzigjährigen Geschichte für den Schweizer Markt Fußbodentrends aufgespürt und marktgängig gemacht. Und dabei eine für damalige Verhältnisse revolutionäre Idee in die Tat umgesetzt.

Genau genommen tat dies Hans Wyler, der Gründer der netto AG. Der Ausnahmeunternehmer war bis zu seinem Tod 2006 das Oberhaupt der netto-Familie. Die von ihm vorgelebte Kollegialität prägt bis heute den Zusammenschluss.  Das wurde auf der
Jubiläumsgala immer wieder deutlich. Verwaltungsratpräsident Alois Limacher und Verwaltungsrat Peter Artho, die an der Seite von Fernsehmoderatorin Christa Rigozzi durch den Abend führten, würdigten das Lebenswerk Wylers ebenso wie Ehrenpräsident Walter Kaufmann, der aus der bewegten Historie der netto AG berichtete.

Aus heutiger Sicht sind Einkaufskooperationen und Verbundgruppen im Fachhandel und Handwerk nichts Besonderes. Auch in der Bodenbelagbranche sind sie eine feste  und selbstverständliche Größe. Das war nicht immer so. Als Hans Wyler, Inhaber eines Innendekorations- und Bodenbelaggeschäftes in Zöfingen, 1965 begann, nach dem „netto-System“ für Kollegen Bodenbeläge direkt beim Fabrikanten zu beziehen, war diese Art der Einkaufskonzentration für das Klein- und Mittelgewerbe in der Schweiz noch absolutes Neuland.

Die Firma Wyler bekam damals als Traditionsunternehmen mit hoher Zahlungsmoral weitaus bessere Einkaufskonditionen als Kollegenbetriebe. Wylers Geschäftsmodell bestand bald darin, Waren zu seinen Konditionen günstig für andere Fachhandwerker zu beschaffen und im Gegenzug lediglich den Skonto zu behalten. Das System funktionierte, weil seine Abnehmer fast ausnahmslos binnen zehn Tagen bezahlten und die Abwicklungen für alle Beteiligten absolut transparent waren. Gleichwohl war es nicht ohne Risiko, schließlich ging Wyler ja mit seinem guten Namen und finanziell in Vorleistung.

Spannend liest sich, was Walter Kaufmann in der Jubiläumschronik schreibt, die in Zürich jedem Mitglied überreicht wurde: „In den Jahren 1950 bis 1965 entwickelte sich eine existenzbedrohende Situation für unsere Branche. Die marktbeherrschenden Grossistenfirmen haben unsere Fachgeschäfte gezwungen, mit einem kartellähnlichen System Wareneinkäufe zu überhöhten Preisen zu beschaffen. Gleichzeitig bauten diese Lieferanten, nebst ihrer Funktion als Engros-Partner, Detailgeschäfte auf, die uns konkurrenzierten. Mit ihren Vorzugspreisen als Direktbezügler wurden wir als kleine Abnehmer im Konkurrenzkampf benachteiligt und damit als Mitbewerber ausgeschaltet.“

Kein Wunder, dass die netto-Idee auf fruchtbaren Boden fiel. Bereits 1967 machten 74 Mitglieder 1,77 Millionen Franken Umsatz. Mit dem Einstieg ins Teppichgeschäft kam zu Beginn der 70er Jahre als Folge von „Eigenkollektionen“ und der Etablierung eines Couponservices eine eigene netto-Lagerhaltung ins Spiel. Damit war man endgültig gegenüber Grossisten konkurrenzfähig. Weil die Lagerartikel den Kunden nähergebracht werden musste, war es nur eine Frage der Zeit, bis man sich für Gemeinschaftswerbung entschied. Über 200 Anschlusshäuser in der Schweiz erhielten 1974 die erste netto-Teppichzeitung. Die Gemeinschaftswerbung erreichte in diesem Jahr eine Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren.

Anspruch an Ästhetik

Einen Überblick über die netto-Broschüren und -Drucksachen der letzten gut 30 Jahre bot im Kongresshaus eine weitere kleine Ausstellung. Mal setzten Titelseiten Teppiche im typischen orange-braunen Look der 70er Jahre in Szene, ein andermal präsentierten sich Bodenbeläge  als sexy Kleidungsstücke. Der ästhetische Anspruch der netto spiegelte sich von Beginn an auch in den Kollektionen wider.

War die netto ursprünglich eine Einzelfirma in Verbindung mit dem Fachgeschäft von Hans Wyler, erfolgte 1976 die Umwandlung in eine, wenn man so will, Familien-AG. Damit war für Wyler aber immerhin das Risiko gebannt, im Falle einer Schieflage mit dem „privaten Sparheftli“ zu haften.  Der Umsatz der netto AG betrug inzwischen immerhin 27 Millionen Franken. In den Jahren der Aufbruchsstimmung von 1975 bis 1985 gelang es, immer mehr Neumitglieder zu integrieren. Die netto-Familie wuchs und war  – und ist es bis heute – geprägt von einem hohen Maß an Kollegialität.

Eine echte Zäsur stellte 1989 der Umzug der netto AG von Zöfingen nach Balsthal dar. Im Zentrum der Schweiz, keine fünf Minuten entfernt von der Autobahn, fand man mit einer ehemaligen Kleiderfabrik die passenden Räumlichkeiten für die neue netto-Zentrale. Fast gleichzeitig deutete sich eine weitere einschneidende Veränderung an. Altersbedingt und weil innerhalb der Familie Wyler niemand die Nachfolge in der Führung der netto AG antreten wollte, entschloss sich Hans Wyler, der bis dato alleiniger Aktionär war,  seine Aktien den Mitgliedern anzubieten. 80 Prozent der Mitglieder wurden so zu netto-Aktionären. Damit war die Nachfolge gelöst.

Walter Kaufmann als Delegierter des Verwaltungsrates und Franz Knobel als Geschäftsführer sollten die netto AG erfolgreich ins neue Jahrtausend führen. Eine netto mit zunehmend auch internationalem Anspruch. 1998  gründeten die Besko GmbH (Österreich), netto (Schweiz) und die Decor Union (Deutschland) die European Buying Cooperation (EBC). 2002 schloss siich die französische Handelskooperation UTD an. Mit einem Einkaufsvolumen von rund 60 Millionen Euro, 270 Mitgliedern und 280 Verkaufsstellen bildete netto mitgliedermäßig die größte Gruppe in der EBC.

Joerg Grieder, Geschäftsführer seit 2009, lenkte das Augenmerk der netto AG von Beginn an
unter anderem auf das auch in der Schweiz existierende Nach-
wuchsproblem. Unter dem Slogan „äs fägt“ ging 2010 die erste Kampagne zur Gewinnung von Lehrlingen an den Start. Erstmalig fand im Rahmen dieser Kampagne in diesem Jahr ein Lehrlingslager auf dem Brienzer Rothorn statt (siehe hierzu auch den Beitrag auf Seite 62 dieser Ausgabe). Eine im wahrsten Sinne zukunftsweisende Aktion, die nicht zuletzt dafür Sorge trägt, dass der  netto-Familie die Mitglieder so schnell nicht ausgehen. Aktuell zählt der Einkaufsverbund 240 Mitglieder. Das Umsatzvolumen beträgt 86 Millionen Euro.