24-Stunden-Reportage Peter Frieser war mit der Popgruppe „Unheilig“ auf Tour - Vom Unternehmer zum Popsänger"> 24-Stunden-Reportage Peter Frieser war mit der Popgruppe „Unheilig“ auf Tour Vom Unternehmer zum Popsänger

Mit 78 Jahren genießt so manch einer den Ruhestand. Nicht so Peter Frieser. Der ehemalige Spezialbaustoffgroßhändler für den Fußbodenbau war im vergangenen Jahr mit der Popgruppe „Unheilig“ auf Tournee. Als „Kölner Männerchor“ begleiteten er und sieben andere Herren jenseits der 65 den Sänger bei Fernsehauftritten und Konzerten.Vom Unternehmer zum PopsängerEin imposanter Klinkerbau in Köln-Sülz. Aus den großen, geöffneten Fenstern dringt Klaviermusik auf die Straße. Ein Fahrradfahrer biegt in die Einfahrt. Er trägt ein kariertes Hemd und Jeans, seine blaue Windjacke flattert im Wind. Das graue, kurze Haar ist zurückgekämmt, eine Sonnenbrille mit großen Gläsern verdeckt sein Gesicht. „Gerade noch rechtzeitig“, sagt er, schwingt sich vom Fahrrad und schiebt seine Sonnenbrille hoch. Peter Frieser ist auf dem Weg zur Chorprobe. Einmal in der Woche singt der 78-Jährige mit der „Spätlese“. Dass ihn ausgerechnet ein Seniorenchor auf die großen Bühnen der Republik bringen würde, hätte er nicht gedacht. Singen war nie Friesers große Leidenschaft. Die Musik dagegen schon. Er liebt Jazz. Mit seinem Vater hat er als Jugendlicher oft Konzerte besucht. Ob er damals gedacht hätte, dass er auch einmal auf der Bühne steht? „Nee, nee“, sagt er und lacht: „Aber im Leben weiß man nie, was passiert. Das Leben steckt voller Überraschungen.“ Karriere im AuslandFrieser hat das oft erlebt. Seine Biografie ist voll von Wendungen und Zufällen. Als er im Jahr 1974 nach dem Tod seines Vaters den Großhandel übernimmt, da hatte er schon für den internationalen Schuhkonzern Bata in Hamburg, London und dem ehemaligen Rhodesien (heute: Simbabwe, Sambia, Malawi) gearbeitet. Zum Estrichgewerk wollte er eigentlich nie zurück, nachdem er in den 50er Jahren auf Baustellen seines Vaters ausgeholfen hatte. Schwere Arbeit für ein geringes Gehalt. „Das war so schlimm, dass ich mich entschieden habe, nicht in der Branche zu bleiben“, erzählt Frieser. Von einer Baustelle seilte er sich nach Hamburg ab, ohne jemandem etwas zu sagen. Da war er 18. Die Hansestadt war für ihn das Tor zur Welt, die Verheißung auf ein anderes Leben. Beim Schuhkonzern Bata schließt er eine kaufmännische Ausbildung ab. Zwei Wochen nach der Abschlussprüfung wird er nach London geschickt. Zwei Jahre bleibt er in England und koordiniert den Export von Schuhen in die skandinavischen Länder. Der Saal in der Volkshochschule in Köln Sulz hat sich inzwischen gefüllt. Holzsäulen stützen das gewölbte Glasdach, durch das die Sonne hereinscheint. Auf den vier Stuhlreihen warten vierzig Stimmen auf ihren Einsatz. Chorleiter Michael Kokott sitzt vorne am Klavier und stimmt die ersten Takte an. Vor drei Jahren war Peter Frieser zum ersten Mal bei der Chorprobe. Seine Ehefrau singt schon lange bei der „Spätlese“ und hat ihn überredet, doch einmal mitzukommen. Seitdem ist er dabei. Wenn Frieser etwas macht, macht er es richtig. Als sein Vater in den 60ern krank wurde, war er grade aus Afrika zurückgekommen. Acht Jahre lebte er im ehemaligen Rhodesien. Seine beiden Töchter sind dort geboren. Nach dem sein Vater einen Herzinfarkt erlitten hatte, hieß es: „Einer muss in die Firma.“ Frieser zögerte, eigentlich hatte er andere Pläne. Er überlegte, sich mit importierten italienischen Schuhen selbständig zu machen. Aber dann sagte er zu, sich vorübergehend um den Außendienst des Familienbetriebs zu kümmern. Sein Vater hatte das Estrichunternehmen in der Zwischenzeit zu einem Großhandel umgebaut, Frieser stieg als freier Handelsvertreter ein. Als es dem Vater immer schlechter ging, stellt die Mutter ihn und seinen Bruder vor die Entscheidung: „Einer von euch beiden muss die Firma übernehmen.“ Der sechs Jahre jüngere Bruder war damals noch nicht bereit für die Verantwortung, erzählt Frieser. „Dann musste ich das machen.“ Er wirkt ernst, seine Züge fast ein bisschen verhärtet, wenn er über seine berufliche Laufbahn spricht. Es war nicht immer einfach, das spürt man. Von 1974 bis 2000 leitete der heute 78-Jährige den Großhandel. Und das mit der Bestimmtheit, mit der er in seinem Leben viele Dinge angegangen ist. In die Themen musste er sich zunächst einarbeiten. Frieser besuchte Seminare und wälzte Vorschriften. Doch dabei beließ er es nicht. Bis heute engagiert er sich im Bundesverband für Estrich und Belag. Peter Friesers Füße wippen im Takt. Sein Kopf neigt sich von einer Seite zur anderen. Sein Blick ist fest nach vorne gerichtet, er sieht kaum auf den Liederzettel in seinen Händen. „Am Dom zu Kölle“, tönt es aus vierzig Kehlen. Frieser singt lauthals mit. Er wirkt konzentriert, aber gleichzeitig gelöst. Auf seinem Gesicht spiegelt sich ein verschmitztes Grinsen. Der Weg von der Chorprobe auf die großen Bühnen der Republik war ein schneller. Chorleiter Michael Kokott wurde von dem Sänger „Der Graf“ der deutschen Musikgruppe „Unheilig“ gebeten, einen Chor aus älteren Herren zusammenstellen. Die sollten im Studio den Backroundgesang für das Lied „So wie du warst“ einsingen und die Popband einige Monate auf Tournee durch Deutschland begleiten. Peter Frieser war der Älteste der achtköpfigen Truppe und „ihr Anführer“, wie er selbst sagt: „Im Prinzip hatte ich sie alle gut im Griff.“ Der 78-Jährige hielt die Gruppe zusammen und führte die Pressegespräche. Fünf Monate lang trat der Kölner Männerchor mit „Unheilig“ in Fernsehsendungen und bei Konzerten auf und tummelten sich die Herren jenseits der 65 auf roten Teppichen und After-Show-Partys. Dabei hatten sie das Ganze zunächst für einen Witz gehalten. „Wir haben gedacht, da will uns jemand reinlegen“, sagt Frieser. Ungläubig schüttelt er den Kopf und lacht, als könne er immer noch nicht so richtig glauben, was er da erlebt hat. Viel Zeit hatten die Männer auch nicht, um sich auf die großen Auftritte vorzubereiten: Nachdem sie mit einheitlichen schwarzen Anzügen, weißen Hemden und schwarzen Krawatten ausgestattet wurden, ging es los zu den ersten Proben für Auftritte bei den Fernsehsendungen „The Dome“ und „Schlag den Raab“. Viele Stars getroffenDie Bedenken des Männerchors, die jungen Zuschauer würden sie auslachen, waren unbegründet. „Die waren begeistert.“ Peter Frieser hat rote Wangen vom Erzählen und blättert aufgeregt durch die Fotos in seiner Hand. „Man hat sich da schon reingesteigert und sich wie ein Popstar gefühlt“, gibt er zu: „Du stehst auf der Bühne und alles klatscht.“ Lampenfieber hatte Peter Frieser vor den Auftritten nicht, wie er sagt. Durch seinen Beruf sei er es gewohnt, vor vielen Menschen zu sprechen. Nur einmal, da war er aufgeregt: Bei den Proben war Kerzenwachs auf seinen Anzug getropft und er musste noch schnell eine Reinigung finden. „Da war ich richtig nervös.“ Hinter der Bühne hat Frieser viele Stars getroffen, wie Lionel Richie, Peter Maffay, Udo Lindenberg und Andrea Berg. Aber auch er selbst wurde ein bisschen zum Star: Zeitungen berichteten über den Kölner Männerchor, mit dem das Lied „So wie du warst“ in den deutschen Charts bis auf Platz 2 kletterte. Der 78-Jährige und seine Chorkollegen hatten bald einen Fanclub, der zu jedem Auftritt anreiste. In dieser Zeit wurde Peter Frieser oft auf der Straße angesprochen. „Ich hab mich nur mit Sonnenbrille rausgetraut“, sagt er und lacht. Es scheint aber, als habe er den Rummel durchaus genossen. Gab es ein Highlight? Da muss Frieser nicht lange überlegen: „Der Auftritt beim Bayrischen Fernsehpreis in München und bei der Eurovision-Songcontest-Party im Hamburg, das war ja live und der Fernsehgarten in Mainz war auch ganz toll, aber das absolute Highlight war der Auftritt im Kölner Stadion vor über 35.000 Zuschauern ...“ Wenn der ehemalige Unternehmer von der Zeit mit „Unheilig“ erzählt, bekommt er glänzende Augen. Sein Gesicht hellt sich auf. Er wirkt aufgeregt und gleichzeitig in Erinnerungen versunken, springt zwischen den Auftritten hin und her und reagiert nicht auf Nachfragen. Dann wird der 78-Jährige plötzlich wieder ganz nüchtern: „Es war eine tolle Zeit, aber die ist jetzt abgeschlossen“. Einige Dinge sind jedoch geblieben: Die Freundschaften unter den Herren und der Gemeinschaftsgeist in der Gruppe. Unter der Leitung von Michael Kokott haben sie einen neuen Männerchor gegründet - und sie wollen wieder auf die Bühne. „Wir möchten mit dem Männerchor groß rauskommen“, sagt Frieser und strahlt. Von der Bühne, so scheint es, kommt er nun nicht so recht wieder los. Ob wir zum Abschied noch ein Foto machen dürfen? „Meine Haare sitzen heute schlecht“, sagt Frieser und holt einen Kamm aus der Tasche. „Ich muss mich erst noch frisieren.“ Das klingt fast so, als hätte sich der ehemalige Unternehmer auf der Tournee ein paar Starallüren abgeschaut. Hannah Dudeck