Rosarote Gefühlswelten?

Stefan Heinze, Chefredakteur - © bwd

Ein Begriff aus den späten 1980er-Jahren hat derzeit wieder Hochkonjunktur: Die Rede ist von Cocooning. Die US-amerikanische Trendforscherin Faith Popkorn beschrieb damit seinerzeit den Trend hin zum Einigeln, zum Zurückziehen in die eigenen vier Wände als Reaktion auf eine unübersichtlich und bedrohlich empfundene Welt. Heute, knapp 30 Jahre später, scheint die Welt endgültig aus den Fugen geraten zu sein. Finanzkrisen, Kriege, Terroranschläge und als Folge davon Flüchtlingsströme ungeahnten Ausmaßes sorgen seit Monaten täglich für Horrorschlagzeilen. Der Wunsch nach Geborgenheit zumindest im häuslichen Privatleben ist da nicht verwunderlich.

Ebenso wenig verwunderlich ist, dass die Bodenbelaghersteller diesem Cocooning-Trend wieder vermehrt Rechnung tragen. Dem Bedürfnis einer zunehmend verunsicherten Käuferschicht nach „Streicheleinheiten“ begegnen vor allem die Teppichbodenhersteller mit einem entsprechenden Angebot. Immer weichere Garne erlauben immer samtigere und flauschigere Teppichböden. Auf der Domotex 2016, die Mitte Januar in Hannover stattfand und über die wir ausführlich ab Seite 14 berichten, war dies besonders augenfällig. Zur schmeichelnden Haptik passen denn auch die sanften Pastellfarben, die in diesem Jahr besonders angesagt sind.

Entgegen aller weltpolitischen Unwägbarkeiten war die Stimmung in den Messehallen gelöst und von einer optimistischen Grundhaltung geprägt, zumindest, was die wirtschaftliche Entwicklung der Branche anbelangt. Von den niedrigen Energiepreisen profitieren nicht nur die immer noch vielfach von Erdölderivaten abhängigen Bodenbelaghersteller. Auch der Endverbraucher hat angesichts drastisch gesunkener Ölpreise wieder einen größeren finanziellen Spielraum, was unter anderem  Investitionen in die eigenen vier Wände nach sich ziehen dürfte, zumal es auf der Bank so schnell keine lukrativen Zinsen mehr gibt. Fast ein wenig makaber mag für den einen oder anderen indes die Erwartungshaltung jener Bodenbelaghersteller anmuten, die sich von der Flüchtlingsbewegung und der vermehrten Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften hierzulande eine Sonderkonjunktur erhoffen. Aber das ist die Realität jenseits rosaroter Gefühlswelten, die uns allem Cocooning zum Trotz am Ende eben doch einholt.