Domotex-Podiumsdiskussion Hat das Handwerk noch goldenen Boden? - Nur noch Erfüllungsgehilfe?"> Domotex-Podiumsdiskussion Hat das Handwerk noch goldenen Boden? Nur noch Erfüllungsgehilfe?

Attraktivitätsverlust bei der Jugend, sinkende Ausbildungszahlen, Konkurrenzdruck von Seiteneinsteigern, Qualitätsverfall. Auf der Domotex diskutierten Vertreter von Branchenverbänden und Politik Auswege aus der Negativspirale im Handwerk.Auf dem Podium (v.l.n.r.): Peter Fendt, Karl-August Siepelmeyer, Olaf Lies, Richard Kille, Harald Gerjets, Dr. Volker Born.Ist das Handwerk überhaupt noch chic? So lautete die Eingangsfrage, mit der Moderator Richard Kille die nachlassende Zugkraft einer Handwerksausbildung thematisierte. Die Ausbildungszahlen in der Industrie steigen an, während sie im Handwerk zurückgehen. Woher also die Leute nehmen? Ein Rettungsanker könnten die 25 Prozent Studienabbrecher mit einem fünfzigprozentigen Anteil an Ingenieuren sein. Das wäre ein Riesenrepertoire, aus dem man Auszubildende fürs Handwerk generieren könnte, sagte Kille und untermauerte seine Feststellung mit Fakten (siehe Kasten „Tendenz sinkend“, Seite 21). Dr. Volker Born ist die Problemlage geläufig. „Wir haben derzeit noch 139.000 Neuverträge 2014“, aktualisierte er das Zahlenmaterial von Kille. Der Rückgang hat verschiedene Ursachen, unter anderem die demographische Entwicklung, die Born aber nicht weiter strapazieren möchte. Aktuell sieht der Abteilungsleiter Berufliche Bildung beim ZDH eine große Herausforderung darin: Erstmals gibt es ebenso viele Studienbeginner wie Jugendliche, die mit der Ausbildung starten. Zehn Prozent der Ausbildungsanfänger haben eine Hochschulzugangsberechtigung, 50 Prozent verfügen über einen Hauptschulabschluss. Jugendliche mit Abitur und auch die vielen Studienaussteiger kann man nur ansprechen, wenn man Perspektiven aufzeigt. Für jene gelte es, nicht nur die Erstausbildung zu fördern, sondern es gehe auch darum, aufzuzeigen, was die Zukunft bringen kann. Hier seien die etwa 200.000 zu erwartenden Betriebsnachfolgen in den nächsten zehn Jahren in die Waagschale zu werfen. Ein Mix aus Erstausbildung, gekoppelt mit Studierangeboten und Meisterqualifikationen, sei die Lösung. Doch die Realität sieht oft anders aus. Der Vorsitzende des Zentralverbands Parkett und Fußbodentechnik, Peter Fendt, berichtet aus der Praxis: „Die Lage im Handwerk ist im Vergleich zu vor 30 oder 40 Jahren schwieriger geworden. Der zeitliche Aufwand, um Gewinne zu erzielen, kann sogar zum Familienkiller werden, und das bei steigendem Wettbewerb und sinkenden Margen“, malt er ein düsteres Bild. Reicht das Einkommen aus, um davon ein Leben bestreiten zu können? Wie entwickelt sich der Beruf bei dem sich ständig verändernden Bedarf? Kann ich auch in vielen Jahren noch den Beruf ausüben, oder haben sich die Voraussetzungen total verändert? Das sind für Fendt die Fragen, die man dem Auszubildenden zu beantworten hat. Die Lage im Handwerk ist sehr heterogen. Berufe kommen und gehen. „Derzeit florieren Berufszweige, die sich mit Heizung, Sanitär oder Wärmedämmung beschäftigen, andere dümpeln eher vor sich hin“, befindet Fendt, der es dennoch als ein Glück empfindet, „selbst und ständig“ zu arbeiten. „Handwerk ist niemals das, was man gerne hätte. Man muss Berge und Täler überwinden. Doch immer noch gilt: Wer sein Handwerk liebt, der hat Erfolg.“ Die Sicht des Malerhandwerks ist ähnlich. „Entscheidend ist die Frage: Wie sichere ich die Ausbildung des Nachwuchses, auch unter der Prämisse, dass man nicht genau wissen kann, was vom Maler in 20 Jahren verlangt wird“, pflichtet Karl-August Siepelmeyer, Präsident des Verbandes Farbe, Gestaltung und Bautenschutz, Fendt bei. „Wir werden uns allerdings auch dann noch um Decken, Wände, Fußböden, Fenster, Türen oder Fassaden kümmern und mit der gleichen Klientel zusammenarbeiten wie heute. Entscheidend wird sein, dass wir nicht aufhören, uns darüber Gedanken zu machen, was nach der Gesellen- beziehungsweise Meisterprüfung kommt und ob wir mit der Schnelllebigkeit fertig werden.“ Schafft man das, dann hat das Handwerk für Siepelmeyer immer noch goldenen Boden. Anders als bei den Malern, die immer noch in der Anlage A eingetragen sind, ist bei Parkett- und Bodenlegern oder den Raumausstattern eine Meisterprüfung nicht mehr nötig. „Ist dies das bereits beschriebene Manko oder doch eher eine Chance?“, will Kille von Harald Gerjets wissen. Für den Präsidenten des Zentralverbandes Raum und Ausstattung verblasst der goldene Boden etwas. „Mit vielen Marktbegleitern habe ich absolut kein Problem“, sagt er. „Wer vernünftig und kostendeckend arbeitet und seine Leute anständig bezahlt, ist als Wettbewerber immer willkommen. Allerdings sehen wir uns einer Flut von konkurrierenden, unqualifizierten Anbietern ausgesetzt, die anders agieren.“ Im Raumausstatterhandwerk sind 40.000 Betriebe gemeldet, das Finanzamt registriert allerdings lediglich 14.000. Dort sind Betriebe, die unter 17.500 Jahresumsatz erzielen, nicht aufgeführt. „Und genau diese Betriebe tun uns weh“, weiß Gerjets. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies gibt offen zu, dass die Entscheidung von vor zehn Jahren, die Meisterpflicht in verschiedenen Berufen aufzukündigen, aus heutiger Sicht falsch war. Die wachsende Zahl von Betrieben bei weniger Ausbildungsverträgen und rückläufiger Qualität sei auch ihm nicht unbekannt. Aber man könne das Rad nicht mehr zurückdrehen. Auf einer kürzlichen Reise zusammen mit Handwerkskammerpräsidenten nach Brüssel hatte Lies die deutsche Position deutlich gemacht. „Wir haben darauf hingewiesen, dass Deutschland deshalb so erfolgreich da steht, weil wir eine duale Ausbildung haben. Sie ist das Fundament der deutschen Wirtschaft und dient keineswegs der Begrenzung des Markts.“ Auch denjenigen, die in der Befreiung von der Meisterpflicht einen ökonomischen Nutzen sehen, erteilt er eine Absage. Eine handwerkliche Leistung wäre für viele Leute heute nicht mehr bezahlbar, weil das Meisterhandwerk zu teuer ist, lautet eine immer wieder gehörte Position. Dem wäre mit Überzeugung entgegenzuhalten, dass es zweifellos noch teurer ist, eine Arbeit zweimal machen zu müssen, so Lies. Der Sicherheitsaspekt müsse auch berücksichtigt werden. Apropos Marktbegrenzung: Kille bringt eine weitere Idee ins Spiel. „Bei großen Ausschreibungen sind ausländische Betriebe ohne Meisterpflicht zweifellos im Vorteil, weil hiesige Angebote unterboten werden können. Wäre es da nicht sinnvoll, analog zur Bauregelliste quasi eine Handwerkerliste für in Deutschland zulässige Handwerker zu erstellen, mit der Vorgabe, dass nur vom ZDH zertifizierte Handwerker sich auf unseren Baustellen tummeln dürften?“ Damit trifft er bei Lies auf wenig Zustimmung, wobei der Ansatz, die deutsche Wirtschaft stützen zu wollen, grundsätzlich zu begrüßen sei. Andererseits würde aber alles, was den Marktzugang erschwert, heftige Diskussionen hervorrufen. Kille regt an, mit speziellen Ausbildungsmodulen die jungen Handwerksinteressierten anzusprechen, die dann ihrerseits ihre eigenen beruflichen Neigungen viel besser umsetzen könnten. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Berufsbilder der Parkett- und Bodenleger beziehungsweise Maler und Raumausstatter facettenreich wie nie seien, wäre das ein nachdenkenswerter Ansatz. Kille stößt allerdings mit diesem bereits mehrfach diskutierten Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Das Handwerk ist typischerweise als kleiner Betrieb unterwegs, argumentiert Born. Gesellen müssen in mittelständischen Handwerksunternehmen vollumfänglich einsatzfähig sein. Sie sind gefordert, das ganze Leistungsspektrum in ihrem Gewerk anzubieten. Auch die Arbeitsmarktverwertbarkeit des Einzelnen wäre mit einer breiten Ausbildung wesentlich besser gewährleistet als mit vielen, schwer für den Betrieb planbaren Einzelqualifizierungen, so Born, der in seiner Auffassung Unterstützung von Lies erhält. „Man muss in diesem Punkt unterscheiden zwischen Ausbildung und weiterer Qualifikation. Wir haben das Fundament der dualen Ausbildung, die sicherstellt, dass der Auszubildende eben nicht nur in seinem Betrieb, sondern gleichzeitig auch in der Schule ausgebildet wird.“ Zwar gebe es Beispiele wie das Tischlerhandwerk, wo es in der Praxis passieren kann, dass ein Auszubildender im Rahmen der überbetrieblichen Ausbildung nur ein paar Wochen mit Holz zu tun hat, weil der Betrieb auf Kunststofffenster spezialisiert ist, aber das sei die Ausnahme, sagt der Wirtschaftsminister. „Mit unserem dualen System wollen wir ja gerade verhindern, dass die Ausbildung lediglich beim Arbeitgeber stattfindet.“ Man müsse sich im Handwerk immer wieder neuen Herausforderungen stellen, das schaffe man nur durch eine umfassende Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule. Den Dienstleistungsgedanken im Handwerk zu fördern, würde sicherlich auch dazu beitragen, junge Leute für sich zu gewinnen. Das mache auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht Sinn. „Heute gelangen Materialien über irgendwelche Kanäle an die Baustelle, der Investor besorgt sich billige Arbeitskräfte und das ausgebildete Handwerk schaut in die Röhre. Müssen wir diesen Markt nicht bedienen, etwa auch so, dass wir unsere Dienstleistung dem Baumarkt oder Baustoffhändler oder gar der Industrie anbieten?“, fragt Kille. „Man muss sicherlich über alles nachdenken, weil es immer schwieriger wird, Aufträge zu generieren“, entgegnet ihm Fendt, eher weniger von dem Gedanken begeistert. Kooperationen zwischen Baumärkten und Handwerk gäbe es schon genügend. Man denke an den Bäckermeister, der seinen Shop in einem DIY-Markt aufbaut. Auch im Bodenlegergewerk würden Aufträge über den Baumarkt vergeben. Allerdings lohne es sich, genauer hinzuschauen. „Für einen Betrieb mit hohen Gemeinkosten, der Personal, Ausstellung, Lager, Fahrzeuge etc. vorhalten oder finanzieren muss, ist die Zusammenarbeit mit einem Baumarkt kaum auskömmlich. Für Garagenbetriebe oder als Starthilfe sind solche Modelle allerdings schon denkbar“, befindet Fendt, der in der Dienstleistung eher ein individuelles Gesamtpaket sieht, das er ohne finanzielle Gegenleistung seiner Leistung hinzufügt. Siepelmeyer pflichtet ihm bei. „Unsere Dienstleistung ist das Angebot, Malerarbeiten im Urlaub unserer Auftraggeber auszuführen. Das erspart viele Umstände und ermöglicht sogar bessere Preise“, nennt er einen ganz praktischen Ansatz, der allerdings Vertrauen und soziale Kompetenz von den Mitarbeitern verlange, die auf der Baustelle heute oft kleingeschrieben werde, so Kille. „Häufig habe ich den Eindruck, dass die jungen Leute in dieser Hinsicht noch nicht fertig sind, wenn sie in die Betriebe kommen. Manch ein Ausbilder muss das übernehmen, was eigentlich die Eltern leisten müssten“, lenkt Kille die Diskussion wieder auf die Jugendlichen. Gerjets hat seine eigene Sicht der Dinge: „Die Gesellschaft ist breit gefächert. Es gibt Menschen, die haben soziale Kompetenz, und jene, die sie nicht haben. Das gilt gleichermaßen für Auszubildende. Natürlich stellen wir fest, dass gewisse Dinge, die im Handwerk unerlässlich sind, heute nicht immer so erbracht werden, wie wir es uns wünschen. Aber es gibt gerade heutzutage auch viele positive Beispiele. Vor 20 Jahren war es um die soziale Kompetenz schlechter gestellt. Die Zeit der Null-Bock-Generation ist vorüber. Heute präsentieren sich die jungen Leute wesentlich positiver als früher“, stellt der Raumausstattermeister erfreut fest. Wer das deutsche Handwerk fördern will, muss heute seine Positionen europaweit vertreten. Die europäische Kommission überprüft aktuell im Rahmen einer Transparenziniative, welche Zugangsvoraussetzungen für die Berufsausübung in den einzelnen Mitgliedsstaaten gelten. Lies betont, wie er sich in Brüssel für den Erhalt der Meisterpflicht eingesetzt hat: „Der Besuch dort hat uns gezeigt, dass wir nicht im Fokus der Untersuchungen stehen. Da dürfen wir auch gar nicht hineingeraten. Wir haben deutlich gemacht, dass es uns wichtig ist, dass die starke Position des deutschen Handwerks bestehen bleibt. Wir kolportieren überall die Stärken der dualen Ausbildung und der Meisterpflicht, ohne die wir das hohe Niveau, für das wir europaweit bewundert werden, nicht halten können. Dazu müssen wir stehen. Allerdings müssen wir es auch unseren Kindern sagen. Wir müssen davon wegkommen, in der akademischen Ausbildung den optimalen Weg zu sehen. Die duale Ausbildung ist ein Riesenfundament. Wir müssen den Jugendlichen klarmachen, dass sie keineswegs eine Sackgasse ist.“ Und dann sagt Lies noch einen versöhnlichen Schlusssatz: „Wir müssen auch für die Berufe Werbung machen, die nicht mehr unter die Meisterpflicht fallen, denn wir brauchen auch in Zukunft Parkettleger, Bodenleger und Raumausstatter.“