Materialforschung: So entwickeln sich Bodenbelagsklebstoffe

Bei der Entwicklung von Bodenbelagsklebstoffen stand und steht längst nicht mehr nur die Technik im Mittelpunkt. Welche Parameter heute und zukünftig immer beachtenswerter werden.

Historie bei der Entwicklung von Verlegewerkstoffen
Die Technik steht schon lange nicht mehr alleine im Mittelpunkt der Entwicklung von Verlegewerkstoffen. Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz werden immer wichtiger. - © Stauf/TKB-Fachtagung 13.03.2019, Grafik: bwd

Neben den rein technischen Eigenschaften von Grundierungen, Spachtelmassen und Bodenbelags- und Parkettklebstoffen müssen die Auswirkungen auf Verarbeiter, Verbraucher und Umwelt bedacht werden. Diese Teilaspekte spielten schon immer eine Rolle, allerdings veränderte sich ihre Bedeutung unterschiedlich über die Zeit“, sagte Dr. Frank Gahlmann, Geschäftsführer der Stauf Klebstoffwerke, mit einem Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Verlegewerkstoffe.

Während jahrzehntelang technische Notwendigkeiten und Machbarkeiten das Design der Produkte bestimmten, wurde der A rbeitsschutz in den 1990er-Jahren zu einer stark mitbestimmenden Komponente. In der Folge wurden daneben Fragen des Verbraucher- und Umweltschutzes immer wichtiger. Bei heutigen Produktentwicklungen müssen alle Einflussparameter berücksichtigt werden.

Darüber hinaus würden sich, so Gahlmann, globale Themen wie Ressourcenverknappung, Schadstoffemissionen, Klimaerwärmung, Energiegewinnung, Stoffströme oder Recycling selbst auf den kleinen Bereich der Bodenbelags- und Parkettarbeiten auswirken. Ganzheitliche Lösungen, die die zu installierenden (und irgendwann wieder zu deinstallierenden und zu verwertenden) Baumaterialien mit einschließen, werden immer dominanter. Auch der Aspekt der wachsenden Kenntnisse zur Toxikologie von Chemikalien und den daraus resultierenden chemikalienrechtlichen und regulatorischen Anforderungen ist allgegenwärtig, mit allen Herausforderungen und Beschränkungen bei der Entwicklung von Verlegewerkstoffen, deren Berücksichtigung ggf. sogar auf Kosten der technischen Leistungsfähigkeit erfolgen muss.

Die Dynamik, mit der sich Verlegewerkstoffe insbesondere in den letzten 25 Jahren entwickelt haben, wird sich noch verstärken, katalysiert durch die o.g. unterschiedlichen Einflussfaktoren, prophezeite der Chemiker, um nach übergreifendem Ausblick die einzelnen Teilaspekte aus Sicht der Technik, des Arbeits-, Verbraucher- undUmweltschutzes in ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutung genauer zu beleuchten.

Von Toxizität bis Ergonomie: Die Technik muss stimmen

Bei der Technik geht’s vorrangig um die Verarbeitung und die Erfüllung der Funktion, beim Arbeitsschutz um Parameter wie Toxizität und Ergonomie. Der Verbraucherschutz stellt die Emissionen in den Fokus und der Umweltschutz bzw. die Nachhaltigkeit rückt die Faktoren Energie und Recycling in den Mittelpunkt. Die Emissionen gehören auch unter diese Überschrift, womit deutlich wird, dass die einzelnen Aspekte einander bedingen und miteinander korrespondieren können. Schaut man sich die technischen Eigenschaften im Detail an, sind Faktoren wie Geschwindigkeit, Universalität, Rückbaubarkeit und Mehrwert die Parameter, an denen sich die Industrie aktuell abarbeitet. Die Bauzeiten werden immer weiter minimiert. Chemisch härtende Klebstoffe und Grundierungen mit komplexer Kinetik und weiter optimierte Schnellspachtelmassen auf der einen Seite sowie nivellierende Unterlagsbahnen, folienartige, selbstklebende Dampfbremsen oder Hotmelts auf der anderen Seite können die Fertigstellung beschleunigen.

Die Entwicklung hin zu „einem Produkt für alles“ zielt auf den Anwendungsbereich oder die Verlegebedingungen. Dabei werden sogar gegenläufige Parameter miteinander verbunden,indem man Bodenbelagsklebstoffe mit Fadenzug, temporärer Nachklebrigkeit und hoher Maßhaltigkeit kombiniert. Bei den Verlegebedingungen legt man den Fokus auf weitestgehende Unabhängigkeit von den Untergrundeigenschaften und vom Raumklima, Faktoren, die jedoch auch weiterhin Naturgesetzen unterliegen. Reaktionsharzgrundierungen mit mehrstufiger Härtung berücksichtigen diese Abhängigkeiten. Die Rückbaubarkeit drängt zunehmend in den Vordergrund.

Man setzt auf Grundierungen, Klebstoffe oder Unterlagen mit veränderter (limitierter ) Adhäsion in Abhängigkeit von der Belastung und hinsichtlich der Kohäsion auf elektrische, magnetischeoder thermische Eigenschaften, die eine „Entklebung per Knopfdruck“ ermöglichen. Ein weiterer Ansatz sind Zwischenschichten mit Sollbruchstellen. „Mehrwert schaffen“,lautet ein weiterer Trend. Grundierungen, die Verfilmungs- und Vernetzungsgrade oder gegebenenfalls Wasserdampfdiffiusionsraten andeuten, Spachtelmassen mit „visueller Benachrichtigung“ der erreichten Belegreife genauso wie Grundierungen oder Klebstoffe mit Hinweisen auf erreichte Oberflächentemperaturen weisen in diese Richtung.

Arbeitsschutz: Werkstoffverbesserungen stehen im Fokus

Entwicklung von Verlegewerkstoffen
Bei der Entwicklung von Bodenbelagsklebstoffen stand und steht längst nicht nur die Technik im Mittelpunkt. - © Stauf, Grafik: bwd

Der Arbeitsschutz setzt auf Werkzeugverbesserungen. Rakel- und Stachelwalzen, Grundierungs- und Lackierrollen mit Teleskopstiel helfen, Bandscheiben und Menisken derVerarbeiter zu entlasten. Neuartige Auftragsgeräte für Parkettklebstoffe gewinnen weiter an Bedeutung. Gewichtsreduktion und Tragekomfort der Verpackungseinheiten für Spachtelmassen, die das Heben und Tragen erleichtern, Dispersionsgrundierungskonzentrate sowie Bodenbelagsund Parkettklebstoffe mit reduzierter Dichte stehen für diese Entwicklungen. Aus Arbeitsschutzgründen werden Stoffe hinsichtlich ihres sensibilisierenden Potenzials bei der Verwendung durch den Boden- und Parkettleger untersucht undreduziert. Die Einstufung der Polyurethan- Klebstoffe und -Grundierungen als Ersatzstoffe gemäß TRGS 610 sind ein beredtes Beispiel.

Im Rahmen des sogenannten EIS-Projekts wird das sensibilisierende Potential von Inhaltsstoffen in Epoxidharzformulierungen erforscht, mit der Zielsetzung, durch die Auswahl unkritischer Stoffe die Verarbeiterbelastung zu reduzieren. Das insbesondere deswegen, weil gerade Epoxidharze mit ihren hervorragenden technischen Eigenschaften die kritischsten Auslöser von Kontaktallergien im Bauwesen sind. Ein weiteres Arbeitsschutzproblem sind Dämpfe und Stäube, deren Verminderung in der Fußbodentechnik über staubreduzierte Spachtelmassen, Entleerungshilfen oder Staubabsaugungen in Angriff genommen wird. Die Giscodeklassifizierung, die Regelungen der TRGS 610 oder das Emicode-System stehen für erfolgreiche Regulierungen. Bei den SMP-Klebstoffen und -Grundierungen steht die Freisetzung von Alkoholen wie Methanol und deren Reduktion im Fokus.

Umweltschutz: Nachhaltig und vorausschauend

Der Umweltschutz wird heute zunehmend verbunden mit dem Begriff der Nachhaltigkeit getreu dem Motto „Der Weg in eine enkelgerechte Zukunft“. Teilaspekte wie die Nutzung regenerativer Energien oder nachwachsender Rohstoffe bieten noch Luft nach oben, wie auch die Förderung von Stoffkreisläufen. In Umweltproduktbewertungen werden die Auswirkungen dieser sinnvollen Entwicklungen auf die Ökobilanz von Verlegewerkstoffen eingeordnet. Nachwachsende und natürliche Rohstoffe sind Bestandteile vieler Klebstoffe. Man denke an Ricinusöl (derivate) in 2-K-PURProdukten, Kolophonium (derivate) in Bodenbelagsklebern, fettalkohol- oder fettsäurebasierte Polyole, Polyaminoamide, Weichmacher oder Additive bzw. auch lignin- basierte PU-Dispersionen. Mineralische Füllstoffe wie Calciumkarbonat, Kaolin oder Talkum sind in großen Mengen in Klebstoffen enthalten und beeinflussen die Eigenschaften vieler Produkte.

Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe hat jedoch oftmals zwei Seiten. Beispielsweise spielen in China als mit Abstand größtem Produzenten von Kolophonium Nachhaltigkeitsgesichtspunkte in der Forstwirtschaft nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Tatsache, dass aktuell circa 74 Prozent des globalen Verbrauchs an Ricinusöl in Indien produziert wird, hat der dortigen Landbevölkerung nicht genutzt, sondern teilweise Verschuldung und Verarmung verursacht. Am Anfang der Produktion eines Baustoffes schon genau zu wissen, was am Ende daraus wird, ist der Ansatz der zirkulären Wirtschaft, der heute eine ganzheitliche Betrachtung verlangt. Die Voraussetzung des Reyclings ist eine sortenreine Trennung, im Klebstoffbereich eine besondere Herausforderung, die in der leichten und rückstandsfreien Lösbarkeit der Verbindung zu denSubstraten liegt.

Bei klassischen Verbindungstechniken wie Schrauben, Nieten, Nageln oder Schweißen ist das leichter zu bewerkstelligen als bei Klebeverbindungen, die dann gewählt werden, wenn andere Verfahren bei der Verbindung von unterschiedlichen Werkstoffen nicht anwendbar sind. Beim Produktdesign müssen Aspekte wie ressourceneffiziente Verbundproduktion,Verwendung regenerativer Stoffe und vollständige Recyclingfähigkeit des Produkts von vornherein mit ins Kalkül gezogen werden. Das „Entkleben“ wird für die Entwickler Teil der Anforderungen ans Produkt. Das Recycling der Verlegewerkstoffe selbst wird technisch nur in Ausnahmefällen möglich sein. Vielmehr muss der Fokus auf der leichten Ausbaubarkeit der Bodenbeläge liegen, die als Rohstoff wiederverwertet werden können.

Lösungen im Sinne der Kreislaufwirtschaft müssenbeim Eco-Design des gesamten Bodenaufbaus beginnen und fordern zunehmend die Kooperation mit den Herstellern von Bodenbelägen. Umweltproduktdeklarationen, die ihrerseits die Stufen wie Rohstoffgewinnung, Transport ins Werk, Herstellung, Beförderung zur Baustelle, Verarbeitung und Wiederverwendung berücksichtigen, enthalten Aussagen zur Ökobilanz eines Verlegewerkstoffs und sind heute für alle Klassen von Verlegewerkstoffen verfügbar. Bei Ökobilanzierungen insbesondere von Klebstoffen istganz primär die Betrachtung des hergestellten Verbundsystems relevant, während der Vergleich zwischen ähnlichen Klebstoffen vernachlässigbar ist. Die Ökobilanz eines Hauses,das mit einem Wärmeverbundsystem versehen wird, verbessert sich dramatisch, während die Frage, welcher Klebstoff zur Klebung der Dämmplatten eingesetzt wurde, im Gesamtkonzept nahezu bedeutungslos ist. Die Klebung von Parkett auf Fußbodenheizung führt im Vergleich zur schwimmenden Verlegung zu einer signifikanten Energieeinsparung, wobei die Tatsache, dass verklebt wird, relevant ist, während die Differenz der Ökobilanzen von zwei Parkettklebstoffen nur einen sehr untergeordneten Einfluss aufdie Gesamtbilanzierung hat.

Fazit für die Marktteilnehmer

Die Rohstoffindustrie muss sich künftig noch stärker für den Einsatz regenerativer Energien einsetzen, nachwachsende Rohstoffe nutzen oder die Rohstoffverfügbarkeit im Augehaben. Den Verlegewerkstoffherstellern wird neben dem E insatz regenerativer Energien und nachwachsender Rohstoffe auch die Schaffung ganzheitlicher Eco-Design-Lösungen oder die Weiterentwicklung von Mehrwertprodukten obliegen. Bei der Produktentwicklung wird der Arbeitsschutz einer der dominierenden Einflussparameter und Treiber bleiben. Das Handwerk ist in der Pflicht, die Verlegewerkstoffe ganzheitlich zu bewerten, sich auf neue Arbeitsweisen umzustellen und die neuen Ansätze den Verbrauchern zu kommunizieren. Bei dieser Aufgabe wiederum die Verlegehersteller mit ins Boot zu holen, ist nicht nur hilfreich, sondern verstärkt auch die notwendige Kooperation zwischen den Partnern.