Der interessante Schadensfall: Sortierung „Quality“ weist Risse auf Die große Chinapleite

Eigentlich war die Frage, die der Gutachter zu beantworten hatte, recht einfach: Stimmt die Sortierung des Parketts mit dem Ausgeschriebenen überein? Die Suche nach der Lösung erwies sich indes als knifflig – und als nicht minder kurios.Die große Chinapleite In einer Anwaltspraxis sollte ein zweischichtiger Landhausdielenboden in der Holzart Eiche in allen Büroräumen sowie in der Praxis verlegt werden. Die Oberfläche wurde als behauen beschrieben. Der Hausherr hatte sich die nahezu 30 cm breiten Parkettdielen eigens bei einem Händler angesehen. Anschließend hatte er die Verlegung eben dieses Materials über seinen Architekten ausgeschrieben und in Auftrag gegeben. Der Verleger kaufte das Parkett über den Exklusivlieferanten für diese Ware ein, die Auftragsausführung erfolgte fristgemäß und ohne größere Komplikationen. Die Abnahme durch den bauleitenden Architekten bereitete ebenfalls keine Probleme. Schadensbild Es wurden zwar einige Nachbesserungen gefordert, wie das Auskitten von offenen Ästen oder Nacharbeiten der Dehnungsfugenbereiche, aber ansonsten lief alles glatt. Man bezog die Räume ganz nach Plan. Der braungebrannte Chef der Anwaltskanzlei wollte gerade seinen Dienst in der neuen Sozietät antreten, als er den Boden zum ersten Mal sah und stockte. Er war wesentlich rustikaler und astiger, als er ihn beim örtlichen Holzhändler gesehen und in Erinnerung hatte. Und es waren einige Risse im Boden, die ihm gar nicht gefielen. Der flugs herbeigerufene bauleitende Architekt klärte nach anfänglichem Zieren die Angelegenheit auf. Schadenshergang Der Architekt sagte, er sei nach Anlieferung des Materials, unmittelbar vor der Verlegung, beim Auspacken der Pakete dabei gewesen. Zusammen mit dem Handwerker habe er festgestellt, dass es sich bei dem vorliegenden Parkett nicht um die ausgeschriebene Sortierung „Quality“, sondern um eine nach Aufkleber nicht weiter bezeichnete „Oak“ (Eiche) handelte, die auch auf dem Lieferschein exakt mit dieser Bezeichnung vermerkt war. Jedwede sortierungsbezeichnende Kreise, Dreiecke oder Quadrate waren nicht vermerkt, kurz: Es gab keinerlei weitere Hinweise. Das Bild der orientierend ausgelegten Ware war offensichtlich recht rustikal, stark asthaltig und entsprach nicht dem, was ausgeschrieben war. Was war zu tun? Eine Ersatzlieferung des anhand eines Aufdrucks als Chinaimport identifizierten Materials hätte in den folgenden zwei Monaten nicht erfolgen können, wie sich nach mehreren Telefongesprächen mit dem Lieferanten herausstellte. Kurzfristige Alternativen mit Wettbewerbsprodukten ergaben sich auch nicht. Der Einzug stand unmittelbar bevor, zu allem Unglück war der Bauherr nicht zu erreichen, da er sich auf einem in der Karibik kreuzenden Passagierschiff auf die Arbeit in seinen neuen Räumlichkeiten einstellte. Bauleitender Architekt und Handwerker berieten miteinander und entschieden, die Ware zu verlegen. Es sollte eine Vorsortierung stattfinden. Die jeweils asthaltigsten und markantesten Stabelemente wollte man in den Randbereich, bzw. auf ein Hinterzimmer konzentrieren. Schriftlich hielt man nichts fest, weder der bauleitende Architekt noch das Verlegeunternehmen hielten das für nötig. Der Anwalt hörte sich die Geschichte seines Architekten an und entschied sich, den Boden so nicht zu akzeptieren. Er strengte daraufhin ein Verfahren an, sowohl gegen den bauleitenden Architekten als auch gegen den Verleger. Die Angelegenheit landete letztendlich bei einem Gutachter, der als fachlicher Unterstützer des Gerichts insbesondere die Frage klären sollte, ob der Parkettboden der Sortierung „Quality“ entsprach. Schließlich bestanden sowohl der Bauleiter als auch der ausführende Handwerker in ihren Einlassungen darauf, dass sie durch die auf der Baustelle durchgeführten Sortierungsmaßnahmen den Boden so besprochen und fertiggestellt hätten, wie er in der Sortierung „Quality“ ausgefallen sei. Auch zu den Rissen sollte der Sachverständige etwas aussagen. Welche Rückgriffe übrigens seitens des Auftragnehmers auf den Lieferanten vorgenommen wurden, ist nicht bekannt. Schadensanalyse Für den Gutachter erwies es sich zunächst als schwierig, an belastbare Unterlagen heran- zukommen. Unternehmerisch existierten zu diesem Zeitpunkt weder der hiesige Exklusivhändler noch der westeuropäische Importeur der Chinaware, noch der Verleger. Ausnahmslos alle waren inzwischen insolvent. Das war wohl auch der Grund, dachte sich der Gutachter, dass der Inhalt des immensen Aktenstapels einen Zeitraum von neun Jahren umfasste. Der Hausherr verfügte entsprechend über keine Prospektunterlagen bzw. Muster mehr. Es galt also, im Trüben zu fischen. Das Internet half etwas weiter. Über den Markennamen machte der Sachverständige auf der noch existierenden Homepage eines weiteren Exklusivvertreibers die entsprechende Ware und auch die Sortierungen ausfindig. Die Klassifizierung „Quality“ war dort beschrieben als ruhig, farbeinheitlich, astarm und rissfrei. Das war die die einzige Grundlage, die dem Gutachter im Vorfeld der Besichtigung – bei der übrigens keine Partei bzw. kein Parteivertreter, nicht einmal der Hausherr persönlich anwesend war – zur Verfügung stand. Also galt es, vor allem das Holz auf dem Fußboden zu beschreiben. „Grobe Äste, teils offen, teils verspachtelt, tiefe Risse, ein hoher Splintanteil und große Farbunterschiede kennzeichnen den fertigen Boden“, schrieb er ins Gutachten. Und an einigen Stellen Rissbildungen, die beim Darüberlaufen eine Verletzungsgefahr bedeuten würden – jedenfalls dann, wenn die Büroangestellten im Sommer barfuß an die Arbeit gehen. So etwas dürfe aber ein Boden in keinem Fall offenbaren. Mit all diesen Informationen stattete er den Richter aus. Ob noch ein Urteil gesprochen werden konnte, ist nicht bekannt. -