bwd -Diskussion Zur Situation im deutschen Großhandel für Bodenbeläge und Raumausstattung Die Gesamtsituation bleibt günstig

Inwieweit profitiert der Großhandel vom allgemeinen Konjunkturaufschwung? Welche Konsequenzen hat der Strukturwandel auf Handels- und Verarbeiterseite? ’bwd‘ diskutierte mit Vertretern des Großhandeslverbandes Heim & Farbe.Die Gesamtsituation bleibt günstig Der deutsche Großhandel für Bodenbeläge und Raumausstattung spürt endlich wieder Rückenwind. „Kumuliert auf die ersten sieben Monate dieses Jahres verzeichnen wir die höchsten Umsätze seit 15 Jahren“, sagt Martin Geiger vom gleichnamigen Aschaffenburger Großhandelshaus. Vor allem das vierte Quartal 2006 und das erste Quartal 2007 sorgten in der Szene für gute Stimmung. Jürgen Wagner, Geschäftsführer des Großhandelsverbandes Heim & Farbe, berichtet für die Monate Januar mitMärz von einem Plus von 8,2Prozent über alle Segmente. Ende vergangenen Jahres löste die bevorstehende Mehrwertsteuererhöhung wahre „Umsatzkapriolen“ aus. Den Schwung konnte die Branche mit „zum Teil anormalen Steigerungsraten“ ins neue Jahr retten, wenn auch mit regional unterschiedlicher Ausprägung. So berichtet Eberhard Liebherr, der mit seinen Großhandelsaktivitäten schwerpunktmäßig im Südwesten Deutschlands aktiv ist, nach einem euphorischen Start von „Umsatzeinbrüchen“. „Wir sind mit hohen zweistelligen Umsätzen vorgeprescht, aber ob wir die bis zum Jahresende halten oder gar toppen können, das ist die Frage.“ Inzwischen ist die Wachstumskurve in der Tat wieder abgeflacht, aber insgesamt, so Geiger, blieben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gut. Die GHF-Bilanz für das erste Halbjahr 2007 weist immer noch ein Plus von knapp sechs Prozent aus. Die Margen sagt Wagner, lägen per Ende Juli 2007 sogar über dem Vorjahr. Dabei offenbart der Blick in die einzelnen Sortimente unterschiedliche Entwicklungen. Ohne große Ausschläge präsentiert sich das Segment Bodenbeläge mit einem Zuwachs von 4,5 Prozent. Sorgenkind bleibt der Teppichboden. Zwar gibt es einen Trend hin zu höherwertigen Qualitäten, was aber fehlt, ist die Menge. Liebherr, Sprecher der Interessengruppe Bodenbeläge im GHF, sieht mit Blick auf sein Unternehmen die in den beiden vergangenen Jahren im Segment Textilbelag mühsam erkämpften Umsatzzuwächse 2007 schon wieder gefährdet. Ist die sich seit 2004 abzeichnende Trendumkehr beim Teppichboden am Ende doch nicht nachhaltig? Fest steht: Die Gunst der Verbraucher gehört nach wie vor den Hartbelägen. „Wir haben mit Parkett und Laminat in den letzten Jahren die Rückläufe beim Teppichboden in einer erheblichen Größenordnung aufgefangen“, sagt Liebherr und berichtet inzwischen von einem Hang zu Laminat im Hotel- und Pensionsbereich der Mittelklasse. Bei Tophotels fällt die Entscheidung immer mehr zu Gunsten von Parkett aus – auf Kosten von Teppichboden. Getragen wird das Wachstum am Fußboden aber auch von Designbelägen, Homogenbelägen und Linoleum. Diese Beläge sind zunehmend erste Wahl im kleinen und mittleren Objekt. Wagner führt den Boom bei den genannten Belägen auf einen Nachholbedarf im gewerblichen Bereich zurück. Und darin sind sich die Vertreter des Großhandels einig: „Bei Designbelägen stimmen noch die Margen”, sagt Liebherr, der mit seinem Großhandelshaus in diesem Segment gut aufgestellt ist. Martin Geiger berichtet aus seiner Firmengruppe von einer vergleichbaren Entwicklung bei homogenen PVC-Belägen. Umsatzspitzenreiter im Sortiment der GHF-Mitglieder sind indes nicht die Bodenbeläge, sondern Wärmedämmverbundsysteme mit einem Plus von 34 Prozent. Das Segment Farbe legte gegenüber dem Vorjahresniveau um 9,4 Prozent zu. Warum die Konjunkturentwicklung an den Heimtextilien (minus 0,7 Prozent) vorbeigeht, kann sich Wagner nicht erklären. Erfreulich ist dagegen die Entwicklung bei der Tapete mit plus vier Prozent. Die insgesamt positive Geschäftsentwicklung stärkt das Selbstbewusstsein des Großhandels gegenüber der Industrie. Sobald die Konjunktur anzieht, rückt die Frage nach der Daseinsberechtigung des Großhandels in den Hintergrund. Die Frage an sich ist so alt wie der dreistufige Vertrieb. Allerdings stößt die Herstellerseite unter dem allgegenwärtig Zwang, Kosten zu senken, mit dem Direktvertrieb zunehmend an ihre Grenzen. „Die Industrie erkennt, dass sich der Großhandel als zwischengeschaltete Vertriebsstufe nicht bereichert, sondern unter dem Slogan „Nah am Kunden“ seine Aufgabe sehr ernst nimmt“, sagtLiebherr. „Großhandel, das heißt: Große Mengen einkaufen und die Logistik für unterschiedliche Situationen aufbauen.“ Dazu bedürfe es nach Ansicht von Liebherr mehr als zwei/drei großer Player in der ersten Reihe. Nötig seien vielmehr eine Reihe regional gut aufgestellter Firmen. Die Präsenz des Großhandels erfährt derzeit eine zweischneidige Entwicklung. Während im Zuge der Marktkonsolidierung Großhändler vom Markt verschwinden, steigen auf der anderen Seite als Folge wachsender Filialisierung die Stellen, wo Markt gemacht wird. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der Großhandelsniederlassungen zwischen Flensburg und Garmisch von 480 auf 547 (die 122 ordentlichen Mitglieder des GHF halten zusammen 425 Niederlassungen) angestiegen. Gab es früher in Metropolen wie Köln oder Essen einen Platzhirsch, der den Markt dominiert hat, verteilt sich das Geschäft heute auf mehrere Schultern, ohne dass das Marktvolumen insgesamt wachsen würde. Wie viele Niederlassungen aber verträgt der stagnierende Markt noch? Geiger meint, dass hier die Grenze bald erreicht sei. In vielen Fällen stünde hinter der Filialisierung keine vernünftige Standortanalyse im betriebswirtschaftlichen Sinn. Man agiere halt nach dem Motto: „Ich habe als Großhändler ein gutes Konzept und das übertrage ich auf den neuen Standort“. Immerhin, so Geiger, zeigten die Outlets, dass der Markt Bedarf hat. Der Handwerker wolle kurze Wege und eine schnelle Betreuung vor Ort. Dass das Handwerk in Deutschland auch in Zukunft eine feste Größe bleiben wird, davon ist Wagner überzeugt. Allerdings glaubt Liebherr, dass die Anzahl der Ein- bis Zweimannbetriebe rasant zunehmen wird. Interessant: Auch auf Verarbeiterseite ist derzeit ein Strukturwandel zu beobachten. „Wir verlieren die großen Kunden mit 300.000 bis 400.000 Euro Umsatz, weil sie entweder finanzielle Probleme oder Nachfolgeprobleme haben. Auf der anderen Seite haben wir noch nie so viele Neukunden gehabt wie in diesen Tagen“, sagtLiebherr. Dabei wächst infolge des Migrationsprozesses der Anteil von Kunden mit fremdländisch klingenden Namen. Für die Industrie sind diese Kunden, die ihr Ladengeschäft meist im Sprinter haben, uninteressant. Für den Großhandel, so Liebherr, könnten sie die Zukunft sein. „Das sind Kunden, die haben Verständnis dafür, dass wir eine Kreditabfrage machen oder dass sie bar bezahlen müssen.“ Insofern müsse man sich auch um die Zukunft des Großhandels keine Sorgen machen. „Wünschenswert wäre insgesamt eine Struktur von deutlich mehr mittelständisch geprägten Großhändlern, die ihr eigenes Profil herausbilden“, sagt Wagner. Im Interesse der Industrie dürfte eine solche Entwicklung nicht liegen. Statt zig mittelstandsorientierter familiengeführter Großhandelshäuser hat die Industrie mehr Interesse an wenigen großen „Abladestationen“, ist sich Geiger sicher. Das Verhältnis Großhandel/Industrie ist und bleibt vor diesem Hintergrund eine Zweckehe. Die Industrie ist bestrebt, Markenbindung herzustellen, und der Großhandel verfolgt das Ziel einer Kaufstättenbindung. Beides zusammenzubringen sei ziemlich schwierig, sagt Wagner. Der Dialog mit der Herstellerseite hat für den GHF-Geschäftsführer deshalb auch für die Zukunft einen hohen Stellenwert. Stefan Heinze stefan.heinze@holzmannverlag.de