BEB-Sachverständigentreffen in Schweinfurt Die Differenz macht nichts aus

Hochinteressante Vorträge mit vielen Hintergrundinformationen hatte der „Arbeitskreis Sachverständige“ für das vom IBF (Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung) unterstützte Treffen der Fußbodenexperten in Schweinfurt zusammengestellt.

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    1  BEB-Vorsitzender Michael Schlag konnte einen guten Besuch bei dem größtem Sachverständigentreffen seiner Art in Deutschland verzeichnen.
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    2  Dipl.-Ing. Andres Seifert, Knauf: „0,5 % Feuchte des beheizten ­Calciumsulfatestrichs ist ein ­Grenzwert, der auch in anderen Ländern gilt.“
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    3  Der Arbeitskreisvorsitzende Simon Thanner: „Bei allen Zahlen und ­Daten aus den Vorschriften müssen wir uns viel mehr um die Verhältnisse auf der Baustelle kümmern.“
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    4  Dipl.-Ing. Andreas Eisenreich, Chemotechnik Abstatt: „Bauwerke sind national geregelt.“
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    5  Dr. Augustin, IBF: „Problematisch ist auch die messtechnische Erfassung von Gerüchen, die gerade bei Bauprodukten negativ besetzt sind.“
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    6  Egbert Müller (IBF) stellte den Arbeitsfortschritt des IBF-Projektes über Estrichzusatzmittel vor.
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    7  Sachverständiger Gerd F. Hausmann: „Wenn man Parkett mit 25 bis 30 Jahren Lebensdauer verkauft, muss auch der Klebstoff ­passen.“
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    8  Georg Mayrhofer, Bundesinnungsmeister Bodenleger Österreichs: „Der Verleger ist gegenüber dem Kunden juristisch aus dem Schneider, wirtschaftlich allerdings nicht.“
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    9  Walter Gutjahr (Gutjahr Systemtechnik): „Entkopplungssysteme sind immer dem jeweiligen Verwendungszweck anzupassen.“
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    10  Sachverständiger Horst Müller: „Die Welt der Spachtelmassen ist wieder in Ordnung.“

Der BEB-Vorsitzende Michael Schlag und der Leiter des Arbeitskreises, Simon Thanner, konnten zufrieden sein: 276 Gäste waren nach Schweinfurt gekommen, darunter auch 21 Zuhörer aus Österreich und fünf aus der Schweiz, die den grenzübergreifenden Charakter der Veranstaltung unterstrichen. Michael Schlag nahm die Gelegenheit, die das große Publikum bot, wahr, um auf die Ausbildungsoffensive „Zukunft Bodenhandwerk“ hinzuweisen. Es habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden. „Heute bewerben sich die Auszubildenden nicht mehr um Arbeitsplätze, sondern die Unternehmen sind gefordert, ihren Bedarf an Lehrlingen zu sichern.“ Dabei leide das Handwerk darunter, dass Berufe wie Mechatroniker zwar äußerst attraktiv, das Berufsbild des Bodenlegers aber immer noch kaum bekannt sei, wie auch Klaus Stolzenberger – ebenfalls in der Ausbildungsoffensive „Zukunft Bodenhandwerk“ engagiert – berichtete. Andreas Eisenreich, Chemotechnik Abstatt, befasste sich mit den Folgen des EuGH-Urteils und den baupraktischen Konsequenzen. Zum Hintergrund: Deutschland hatte vor zwei Jahren den Prozess um den Sonderweg des DIBt verloren und darf seit dem 16.10.2016 das Ü-Zeichen für die zulassungspflichtigen Bauprodukte nicht mehr führen. Das deutsche Sicherheitsniveau ist damit gefallen. Als Folge ist geplant, ganze Bauwerke zu regeln, denn das sei in Europa eine nationale Aufgabe, da beispielsweise für Holzhäuser im kalten Finnland ganz andere Vorgaben gelten würden als für Bauten im sonnigen Süden.

„Aus Baustoffanforderungen sollen Bauwerksanforderungen werden“, sagte Andreas Eisenreich. Allerdings befinde man sich im Moment „im Blindflug“, denn die Bauregelliste sei aktuell durch eine Musterverwaltungsvorschrift ersetzt worden. Fragen der Verantwortlichkeiten des Bauherren, Planers, Verarbeiters oder Herstellers hinsichtlich der festgelegten Anforderungen an das Bauwerk seien derzeit noch genauso ungeklärt wie Fragen der Leistungsmerkmale in Ausschreibungen oder der Kontrolle.

In Anderen Ländern gelten andere Anforderungen

80 Prozent der Zeit verbringen die Menschen heute in Innenräumen, erläuterte Dr. Roland Augustin vom Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung IBF, der zu Emissionsprüfungen und hedonischen Bewertungen von Baumaterialien referierte. Die Häuser werden immer dichter, der Luftaustausch wird immer geringer, selbst der Eintrag der Menschen in die Räume ist heute in Niedrigenergiehäusern mess- und kalkulierbar. Weil das Einatmen der Luft kein Gesundheitsrisiko darstellen dürfte, rücke die VOC-Problematik gerade bei flächig eingebrachten Bauprodukten immer mehr in den Mittelpunkt.

Die legislativen Anforderungen in den einzelnen Ländern sind jedoch höchst unterschiedlich. Würde in Deutschland ein PVC-Belag wegen der Phenole Schwierigkeiten bekommen, könne er in Frankreich wegen der TVOCs mit A+ ausgezeichnet werden. Ein Parkett würde den Test in unserem Land trotz des Formaldehydgehaltes bestehen, in Frankreich aber genau des­wegen in die Klasse B abgestuft. Es gäbe gute freiwillige Klassifizierungssysteme wie den Emicode, der auch eine Überwachung ­beinhalte, oder den Blauen Engel mit hohen Anforderungswerten, bei dem es sich allerdings um ein „Private Label“ handele.

Problematisch sei die messtechnische Erfassung von Gerüchen, die wegen ihrer belästigenden Wirkung als Stressfaktoren einzustufen und gerade in Bauprodukten negativ besetzt seien, so Augustin. Dabei bestehe kein Zusammenhang mit TVOC und Geruchsqualität. Problematisch sei auch, dass bisher Bauprodukte gemessen worden seien und das ganze Prozedere jetzt auf das ganze Bauwerk verlagert werde, wobei zu konstatieren sei, dass die Einzelprodukte für das gesamte Gewerk nicht mehr aussagefähig seien und der Planer, Architekt und vor allem der Bauausführende trotz weiter steigender Überforderung immer mehr in die Verantwortung genommen werde.

Über den Stand der Untersuchungen an unbeheizten Zementestrichen mit normalen Zusatzmitteln und Zusatzmitteln, die seitens der Produkthersteller als Beschleuniger ausgewiesen sind, berichtete Egbert Müller vom IBF Troisdorf. Während der erste Teil mit den eher labormäßigen Ergebnissen bereits abgeschlossen ist, sind die Prüfungen an praxisgerechten größeren Feldern von Estrichen mit unterschiedlichen Belägen noch in vollem Gange. Als Beläge wurden ein Kautschukbelag in zwei Millimeter Dicke bei 3,2 CM-% und 2 CM-% Estrichfeuchte sowie 16 Millimeter dickes Stab­parkett in Eiche und Buche bei gleichen Bedingungen ausgewählt. Beim Kautschuk wurden zum Beispiel nach 166 Tagen Blasenbildungen ermittelt, ohne schon jetzt etwas Genaueres über die Ursachen sagen zu können. Weitere Prüfungen der Schälzugfestigkeit bei den Gummiböden oder der Haftzugfestigkeit beim Parkett, sowie die Auswertung eingesetzter Feuchtesensoren werden noch folgen, bevor abschließende Ergebnisse veröffentlicht werden könnten, so Müller.

Die 0,2 Prozent machen den Estrich nicht kaputt

Kaum eine Frage hatte die Branche in diesem Jahr so bewegt wie die Erhöhung des Grenzwertes für beheizte Calciumsulfat­estriche von 0,3 auf 0,5 CM-%. Andres Seifert, Leiter Marktmanagement Bodensysteme bei Knauf, erläuterte, dass der neue Grenzwert praktisch berechtigt wäre, und begründete die 40%-ige Heraufsetzung damit, dass dieser Restfeuchtegehalt weder den Belag noch die Estrichoberfläche schädigen würde. Er untermauerte seine Auffassung mit der langsamen Geschwindigkeit der Wasserabgabe, weil es darüber hinaus entscheidend sei, wie viel Prozent Feuchtigkeit nach Erreichen der Belegreife noch schadenswirksam wären. „Die 0,2-%-Differenz zwischen 0,3 und 0,5 CM-% macht den Estrich nicht kaputt“, sagte Seifert und zog zur Untermauerung die analogen Werte in anderen Ländern heran. Während die technischen Einwände an der schlüssigen Argumentation Seiferts sich in deutlichen Grenzen hielten, wurde die Kritik an der Risikosteigerung für den Handwerker durch die Grenzwert-Erhöhung nochmals laut, wobei Seifert zugestand, dass der Informationsfluss bei der Normenveränderung hätte besser ablaufen können.

Im Vortragsteil „Aktuelle Schadensfälle“ befassten sich mit Gerd F. Hausmann, Georg Mayrhofer und Dr. Roland Augustin gleich drei Referenten mit der Problematik elastischer SMP-Klebstoffe, die in der Vergangenheit den Parkettmarkt erobert hatten, insbesondere weil sie die völlige Abkehr von Lösemittelklebern möglich gemacht hatten. Diese den Dichtstoffen artverwandten Hilfsstoffe waren universell einsetzbar und wurden von den interessierten Kreisen seinerzeit mit viel Vorschusslorbeeren bedacht. Doch nach Jahren wurden gelegentliche Schäden derart erkennbar, dass sich der Klebstoff ähnlich staubig, brüchig zerlegt hatte, wie es Gerd F. Hausmann von alten Teppichrücken, allerdings mit anderer technischer Begründung, kannte.

Lieferanten kommen meist für den Schaden auf

Vor dem Hintergrund, dass Parkett mit einer Lebensdauer von über 25 bis 30 Jahren verkauft werde, offenbarten die auch in Österreich, der Schweiz und Italien bekannt gewordenen Klebstoffauflösungen das Dilemma. Gerd F. Hausmann räumte anerkennend ein, dass viele Schäden ohne Aufhebens von den Lieferanten aufgearbeitet wurden und die Verlegebetriebe nicht auf ihren Kosten sitzen blieben, monierte aber auch die Ablehnung, wenn Hersteller sich auf ihre fünfjährige Gewährleistung zurückzogen. Recherchen hatten mittlerweile ergeben, dass bereits im Jahre 2011 in Schweden eine Diplomarbeit von Sandra Dabbagh „Oxidative Degradation of Polyether in Contact with Minerals“ zum Chemismus dieser möglichen Estrich-Klebstoffreaktion in Auftrag gegeben worden war, erläuterte Augustin unterstützend , der den Part übernahm, zu erklären, warum sich die Klebstoffe wie beschrieben verhielten. Er berichtete von einem Bruch der Polyetherketten, die mit einem Verlust der Klebkraft einhergingen und unter Freisetzung von Gerüchen zu einem oxidativen Abbau der Polymere führten, um dann als weitgehend kreidiges Füllmaterial auf dem Boden zu verbleiben. Bestimmte weichmachende Öle oder oxidierbare Additive könnten den Autooxidationsprozess beschleunigen, folgerte Augustin in seiner Recherche, zu der Georg Mayrhofer seine Erfahrungen aus Österreich beitrug.

In Österreich wird über einen Musterprozess nachgedacht

Der Bundesinnungsmeister sprach von einem „Lieferantenstresstest“ hinsichtlich des Umganges der Industrie mit den Handwerkern. Er zitierte aus dem in Österreich geltenden Produkthaftungsgesetz, dass Ersatz­ansprüche im speziellen Falle erst nach zehn Jahren verjähren würden. Der dortige Verband überlege sogar, einen Musterprozess anzustreben, der allerdings nur in dem Falle greifen würde, wenn ein Endverbraucher gegen einen Hersteller klagen würde. Den deutschen Kollegen gab er die Kontaktdaten einer österreichischen Kanzlei an die Hand (loebl@gltp.at), die sich bereits intensiv mit der auch aus Preisgründen entstandenen Problematik, die schon fast ausgestanden schien, befasst habe.

Die Welt ist jedoch wieder völlig in Ordnung hinsichtlich einer technischen Unzulänglichkeit schwindarmer Spachtelmassen, sagte in einem weiteren Vortrag Horst Müller, der sich mit dem Feuchteeinfluss auf diese Systeme befasste. Er erläuterte die Rolle des Gipses in diesen Spachtelmassen und berichtete von Quellverformungen, wenn diese Systeme überzogen, sprich übergipst seien. Nach einem Schadensfall, in dem er zunächst eine einwandfreie Fläche eines Designbelages konstatiert hatte, zeigten sich Abzeichnungen unter dem Belag, die ihn nach Öffnung des Bodens aufgrund der Teilung in Schichten und der damit verbundenen Volumenvergrößerung an einen Blätterteig erinnerten.

Der Spachtelmassenexperte begründete diese Erscheinung mit einer Nachreaktion eines nicht ausgehärteten Klebstoffes mit der vom CM-Wert des Estrichs unabhän­gigen Spachtelmasse, die seiner Meinung nach ursächlich für ein Schadensbild war, das zwar aufgrund des erfolgten Produktaustausches bei neueren Böden nicht mehr auftauchen dürfte, aber immer noch „Schlummerpotential“ bei bereits verbauten Böden berge.Walter Pitt

walter.pitt@holzmann-medien.de

Folgebilder

11  Juristin Katharina Bleutge wies wie immer pointiert und kenntnisreich auf Neuerungen im Sachverständigenwesen hin. - © Pitt
12  Sachverständiger Gerhard Klingelhöfer ­wagte eine Parforcejagd durch die Normung in der Abdichtungstechnik. Bilder: Pitt - © Pitt