Die 24-Stunden-Reportage Die Squinzis und ihr Mailänder Mapei-Labor Breiter Rücken, breites Kreuz

Um herausgelöst aus der Tagesaktualität besondere Geschichten über Menschen und Phänomene aus der Branche zu erzählen, schafft boden wand decke die in loser Folge erscheinende 24-Stunden-Reportage. Zum Auftakt hat sich Redakteur Reinhold Kober ein Bild von der Forschungsarbeit in einem Weltkonzern rund um Mapeis großes Mailänder Labor gemacht.Breiter Rücken, breites Kreuz Wer den Padrone Dr. Giorgio Squinzi im cremefarbenen Ledersessel der Besucherecke seines Büros im sechsten Stock des Mailänder Mapei-Hochhauses sitzen sieht, der staunt über die Facetten des Milliardenkonzern-Lenkers. Fast beiläufig berichtet der Mann mit dem verbindlichen Lächeln und wachen Augen von seinem jüngsten Übernahmecoup in Amerika der Hersteller von Teppichkleber aus Georgia heißt APAC. Mit der gleichen Natürlichkeit setzt er dem Zuhörer die Wachstumsphilosophie des drittgrößten Herstellers von bauchemischen Produkten und Weltmarktführers bei Bauklebstoffen auseinander. Seine Formel heißt seit jeher „Spezialisierung, Internationalisierung, Entwicklung“. Will heißen: Mapei konzentriert sich auf sein Kerngeschäft Bauchemie, ist in der Welt zu Hause und investierte zuletzt 85 Millionen Euro in die Forschungsarbeit an acht Standorten. Fünf Prozent des Jahresumsatzes in Höhe von 1,7 Milliarden Euro. Ohne jedes Imponiergehabe beantwortet Dr. Giorgio Squinzi Fragen zur wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. Statt Managerkauderwelsch zeigt er Familiensinn. „Mein Vater Rodolfo, der 1937 unsere Firma gegründet hat, war Techniker. Mein Sohn Marco und ich sind Chemiker, das ist unsere DNA.“ Squinzi unterstützt Fußballer und Kulturschaffende, liebt die Oper und steht dem italienischen Chemieverband vor. Aber das Wesentliche hat er anders als viele Manager, die besser über ihr Handicap auf dem Grün als das ihrer innerbetrieblichen Strukturen im Bilde zu sein scheinen, nie aus den Augen verloren. Wer die Seele von Mapei entdecken will, der sollte sich aufmachen in die Via Cafiero. Am komfortabelsten dorthin gelangt man in der Luxuslimousine von Marco Squinzi. Gebaut in Ingolstadt, angetrieben von einem mehr als 400 PS starken Aggregat italienischer Herkunft. Auch der neue PVC-Kleber Ultrabond Eco 380, Anfang des Jahres in Deutschland vorgestellt, ist so gesehen das Ergebnis multinationalen Zusammenwirkens. In seinem großzügigen Office bemüht Mapei-Entwicklungschef Squinzi junior das Beispiel des bis zu den Dopingskandalen großzügig geförderten Radsports, um die Forscher-Kooperation zu erklären. Technologietransfer ins Forschungszentrum „Das Team muss funktionieren. Dafür ist der Wasserträger ebenso wichtig wie der, der die Etappe gewinnt.“ Übertragen auf das Unternehmen heißt das: Den Input für den neuen Mittelklasse-PVC-Kleber liefert der technische Marktmanager Fußbodentechnik Günther Hermann. Er kennt den deutschen Markt und erkennt die Sortimentslücke. Das heißt: Termin des nationalen Produktmanagers sowie des technischen Services in der Via Cafiero. Hermann sagt: „Entwickeln wir ein neues Produkt, dann sollte es einen breiten Rücken haben.“ Er meint: Ist der Kleber nur für wenige Anwendungen geeignet, reduziert sich der Nutzwert für den Kunden. An dieser Stelle greifen im Entwicklungsprozess die speziellen Strukturen des in 24 Ländern auf fünf Kontinenten organisierten Herstellers. Cross Fertilization, wechselseitige Befruchtung nennt das Marco Squinzi. Denn offenbar gibt es im französischen sowie niederländischen Markt ein Produkt, das den deutschen Anforderungen annähernd entspricht und den Bedingungen für eine EC1-Zertifizierung. Es muss also möglicherweise gar nicht von null entwickelt werden um vom konzernweit vorhandenen Know-how zu profitieren, hat Mapei seine Forschung in einem 4.000-Quadratmeter-Labor in Mailand zentralisiert. Nach einer Bedarfs- und Wettbewerbsanalyse hebt oder senkt dort Marco Squinzi den Daumen, ehe im positiven Fall Feintuning folgt. Es bleiben ja trotz Technologietransfer nationale Besonderheiten bestehen. Beim Versuch, die zu verdeutlichen, tritt dem Nachfolger des Vaters als Entwicklungschef Schweiß auf die Stirn. Das liegt aber weniger daran, dass sich der Chemiker über etwaige Sonderregelungen ärgerte; schließlich engagiert sich Mapei weltweit in den bedeutenden Normenausschüssen. Nein, Marco Squinzi hat soeben eine Anlage für die künstliche Bewitterung betreten: im Maßanzug, auf fünf Quadratmeter Fläche, bei einer Affenhitze. Schließlich differieren die klimatischen Verhältnisse zwischen Südfrankreich und Norddeutschland erheblich. Was das im Einzelnen heißt, lässt auch Außenstehende das Prunkstück des Labors nachvollziehen. Dazu fixiert ein Mann im Pullover die winzigen Materialmuster auf den zwei daumennagelgroßen Trägern, die er unter das künstliche Auge des 450.000 Euro teuren Elektronenmikroskops legt. Als eine 20.000-fache Vergrößerung auf der Leinwand zu sehen ist, hält man unweigerlich den Atem an. Tatsächlich werden bis hin zum Verhalten der Polymere die Unterschiede deutlich, die auf der Baustelle in verschieden lange Offenzeiten münden. Am Ende steht nach länderübergreifender Kooperation, unzähligen Sachstandsberichten der Ingenieure und internen wie externen Tests ein Produkt, bei dessen Entwicklung Kosten gespart wurden und dank EC1-Zertifizierung ein echter Wettbewerbsvorteil erzielt wurde. Trotz der Krise, sagt Marco Squinzi, wird in Mailand weiter geforscht: „Wir können es uns nicht leisten, den Anschluss zu verlieren.“ Wer die Märkte erobern will, der braucht ein breites Kreuz.Reinhold Kober reinhold.kober@holzmannverlag.de

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